Medikamente: Patente und Preisregulierungen?

Medikamente: Patente und Preisregulierungen?

In den vergangenen Jahren stiegen die Ausgaben für Arzneimittel in Deutschland. Während die für Patienten kostspieligen Privilegien der Apotheken unangetastet bleiben, sollen politische Maßnahmen den Anstieg durch Regulierungen der Herstellerpreise bremsen. So müssen Arzneimittelhersteller den gesetzlichen Krankenkassen beispielsweise einen Zwangsrabatt gewähren. Parallel sollen durch den Patentschutz und damit einhergehende höhere Medikamentenpreise jedoch für Hersteller Anreize für Forschung an neuen Wirkstoffen gesetzt werden. Patente auf der einen und Preisregulierungen auf der anderen Seite heben sich also teilweise auf und es stellt sich die Frage nach der Konsistenz der beiden Maßnahmen.

Ausgaben gestiegen

Die Ausgaben für Medikamente machen seit den 90er Jahren 15 bis 16 Prozent der gesamten Ausgaben im Gesundheitssystem aus. Die Medikamentenausgaben stiegen seit 1992 nicht stärker als die Gesundheitsausgaben insgesamt. Im Jahr 1992 betrugen die Ausgaben nach Berücksichtigung der Inflation noch 37,5 Milliarden Euro. Im Jahr 2016 waren es 55 Milliarden Euro. 

Patente: ein Kompromiss

Die Entwicklung neuer Medikamente ist langwierig und teuer. Nur eine von 24 begonnen Entwicklungen wird am Ende als Medikament auf den Markt gebracht. Insgesamt werden im Durchschnitt gut 1,8 Milliarden US-Dollar pro entwickeltem Medikament aufgewendet. 

Der Patentschutz soll Herstellern einen zusätzlichen Anreiz geben, in Forschung und Entwicklung von Medikamenten zu investieren. Ein Patent schützt 20 Jahre lang vor Konkurrenten. Sie dürfen den neuen Wirkstoff oder das Herstellungsverfahren in dieser Zeit nicht kopieren. Als temporäre Monopolisten können die Patentinhaber höhere Preise verlangen. Die Aussicht auf diese Monopolgewinne soll den Innovationsanreiz stärken. 

Zwangsrabatte und Preismoratorien 

Die Preise, die Hersteller patentgeschützter Medikamente verlangen, führen allerdings regelmäßig zu Unmut bei Gesundheitspolitkern und Krankenkassen. Die deutsche Antwort auf die durch Patente ermöglichten hohen Herstellerpreise sind Zusatznutzenanalysen, Zwangsrabatte und Preismoratorien. Die preissenkende Wirkung dieser Maßnahmen widerstrebt jedoch dem Ziel des Patentschutzes, durch temporär höhere Herstellerpreise mehr Forschung und Entwicklung anzuregen.

Die Preise von verschreibungspflichtigen Medikamenten werden in Deutschland durch die Arzneimittelpreisverordnung reguliert. Im ersten Jahr nach der Zulassung können die Hersteller den Preis ihres Produkts frei bestimmen. Ab dem 13. Monat gilt ein mit den gesetzlichen Krankenversicherungen ausgehandelter Preis. Diesen übernehmen auch die privaten Krankenversicherungen. Auf den ausgehandelten Preis müssen die Hersteller patentgeschützter Medikamente den Krankenkassen zusätzlich einen Rabatt von 7 Prozent gewähren. 

Derzeit sind die Medikamentenpreise zudem auf dem Niveau von 2009 eingefroren, wenn sie in der gesetzlichen Krankenkasse erstattungsfähig sind. Diese Regelung wurde bis 2022 verlängert. 

Nutzen von Zusatznutzen fragwürdig

Grundlage für den zentral ausgehandelten Preis ist die Bewertung des Zusatznutzens eines neuen Präparats. Ein höherer Zusatznutzen im Vergleich zu anderen verfügbaren Behandlungen geht mit einem höheren Preis für den Hersteller einher. Für die Bestimmung des Zusatznutzens ist das von den gesetzlichen Krankenkassen getragene Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen verantwortlich. Der Gemeinsame Bundesausschuss, das höchste Beschlussorgan des deutschen Gesundheitssystems, verhandelt auf dieser Grundlage einen Preis mit den Herstellern. 

Das Verfahren ist umstritten. So haben die verhandelnden Krankenkassen kein Interesse daran, den Zusatznutzen korrekt zu bestimmen, da ein hoher ermittelter Zusatznutzen zu höheren Ausgaben führt.

Es überrascht deshalb nicht, dass die Bewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses teilweise erheblich von denen seiner Pendants in anderen Ländern abweichen – nach unten. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2016 bewertete der Gemeinsame Bundesausschuss im Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2014 nur 43,6 Prozent der Medikamente positiv. Beim britischen Pendant waren es fast dreiviertel aller neuen Medikamente. Das Ergebnis legt nahe, dass das Verfahren von den deutschen Krankenkassen genutzt wird, um die Preise für Hersteller neuer Medikamente zu reduzieren. 

Forschung: Internationales Trittbrettfahren

Preisreduzierende Regulierungen und Patentschutz widersprechen sich. Doch der Markt für Medikamente ist global. Die Versuchung für einheimische Politiker und Krankenkassen ist groß, im Inland die Herstellerpreise für Medikamente herunter zu regulieren und so Patienten in anderen Ländern einen größeren Teil der Entwicklungskosten tragen zu lassen. Mehr als jedes dritte in Europa angemeldete Patent für Medikamente kommt von einem amerikanischen Hersteller. 

Es passt ins Bild, dass es gerade in den USA eine Debatte darüber gibt, ob amerikanische Patienten durch hohe Medikamentenpreise einen zu großen Anteil an den weltweiten Entwicklungskosten tragen. Der Vorwurf an andere wohlhabende Länder wie Deutschland, welche Medikamentenpreise regulieren: Trittbrettfahrertum. 

Fährt nur ein Land Trittbrett, kommt es in den Genuss niedriger Herstellerpreise und der positiven Wirkung des Patentschutzes. Wird jedoch in allen Ländern der Patenschutz durch Preisregulierungen ausgehebelt, führt individuelles Trittbrettfahren zu kollektiv nicht wünschenswerten Ergebnissen: Weniger Forschung und Entwicklung. 

Innovationsfördernde Wirkung von Patenten zweifelhaft

Eine Kombination aus Preisregulierung und Patentschutz ist aus Sicht des Inlands attraktiv, wenn Patente die erwünschte innovationsfördernde Wirkung entfalten und in anderen Ländern die Preise nicht reguliert werden. 

Die innovationsfördernde Wirkung von Patenten ist jedoch nicht unumstritten. So stellen die Ökonomen Michele Boldrin und David K. Levine sie grundsätzlich in Frage. Unternehmen, die neue Medikamente entwickeln, hätten auch ohne Patentschutz einen Vorsprung gegenüber ihren Mitbewerbern und könnten in diesem Zeitraum höhere Gewinne erzielen. Die Forschungsaufwendungen würden zumindest in einem gewissen Umfang auch ohne Patente finanziell honoriert, so die beiden Ökonomen.

Auch empirische Ergebnisse nähren den Zweifel an der innovationsfördernden Wirkung von Patenten. Eine Studie aus dem Jahr 2009 untersucht die Patentpolitik in 60 Ländern über einen Zeitraum von 150 Jahren. Das Resultat ist für die bisherige Patentpolitik ernüchternd: Eine Stärkung des Patentschutzes hat demnach einen negativen Effekt auf Innovationen. 

Freie Preise, gute Besserung

Unabhängig davon, ob Patente die gewünschte Wirkung entfalten, sind Preisregulierungen grundsätzlich fehl am Platze. Wirken die Patente wie erhofft, wirken Preisregulierungen ihnen entgegen. Führen Patente nicht zu mehr Neuentwicklungen, reduzieren Preisregulierungen entgegen der Patentwirkung den Innovationsanreiz.

Preisregulierungen sind für das Inland allerdings dann attraktiv, wenn im Ausland für einen Wirkstoff hohe Monopolreise bezahlt werden. Das gilt vor allem für kleine Länder. Denn diese haben einen geringeren Einfluss auf den weltweiten Gesamtumsatz eines Medikaments und verringern die Innovationsbemühungen internationaler Hersteller somit kaum.

Ob Deutschland zu diesen kleinen Ländern gehört, ist fraglich. Fraglich ist auch, ob Deutschland sich als Trittbrettfahrer versuchen sollte. Stattdessen sollte in Betracht gezogen werden, zugleich auf die Preisregulierungen und den Patentschutz zu verzichten, um einerseits Innovationen durch temporär mögliche hohe Monopolpreise zu fördern und andererseits die zügige Entwicklung preisdrückender Generika zu ermöglichen.

Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.

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