Die deutsche Stromversorgung befindet sich im größten Umbau ihrer jüngeren Geschichte. In den nächsten Jahren sollen die letzten Kernkraftwerke vom Netz genommen werden. Zusätzlich wird der Kohleausstieg diskutiert. Erneuerbare Energien sollen die Lücke schließen und einen größeren Anteil an der Stromversorgung übernehmen. Ein maßgeblicher Teil der erneuerbaren Energie stammt aus Windkraftanlagen im Norden und Osten Deutschlands. Die großen Stromverbraucher sitzen allerdings im Westen und Süden Deutschlands und gerade dort gingen in den letzten Jahren konventionelle Kraftwerke vom Netz. Um den Windstrom von Nord nach Süd zu transportieren, werden große Investitionen in neue Übertragungsleitungen angestrebt – die sogenannten Stromautobahnen, die auf massiven Widerstand in der Bevölkerung stoßen und kostspielig sind. Doch es gibt Alternativen: Statt Strom im Norden zu produzieren und in den Süden zu transportieren, könnte er vermehrt dort erzeugt werden, wo die Verbraucher sind. Preise, welche die relative Knappheit des Stroms im Süden widerspiegeln, könnten helfen, dies besser zu erreichen.
Deutscher Strommarkt: Eins und doch geteilt
In Deutschland gibt es einen einheitlichen Preis für Strom, der an der Strombörse in Leipzig ermittelt wird. Bei der Auktion an der Strombörse ist nicht relevant, an welcher Stelle ein Produzent Strom in das deutsche Netz einspeist oder ein Verbraucher Strom aus dem Netz entnimmt. Unabhängig davon, ob der Produzent in Hamburg oder in Untertürkheim Strom einspeist, erhält er den gleichen Preis. Der Vorteil ist, dass auf dem großen deutschen Markt ein intensiver Wettbewerb herrscht und so möglichst günstig Strom produziert wird. Das Gaskraftwerk in Baden-Württemberg konkurriert nicht nur mit der örtlichen Talspeere, sondern auch mit dem Offshore-Windpark in der Nordsee.
Physikalisch ist es allerdings relevant, wo Strom eingespeist und entnommen wird. Denn im Stromnetz gibt es Übertragungsengpässe, die verhindern, dass beliebige Mengen von A nach B transportiert werden können. Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber ist es, mögliche Engpässe im Netz zu überbrücken und damit sicherzustellen, dass Deutschland tatsächlich auch physikalisch ein Markt für Strom ist. Vor allem in der Nord-Süd-Verteilung gibt es immer wieder Engpässe. Es gibt zu wenige Leitungen mit zu geringen Übertragungskapazitäten. Langfristig sollen neue „Stromautobahnen“ Abhilfe schaffen.
Kurzfristig lösen die Übertragungsnetzbetreiber dieses Problem, indem sie ein sogenanntes Redispatch anwenden: „Vor“ dem Engpass werden Kraftwerke heruntergefahren und „dahinter“ hoch. Wenn etwa im Norden kräftig Strom erzeugt wird und im Süden fleißig Autos gebaut werden, dann werden in Norddeutschland Kraftwerke runtergefahren. Im Süden, hinter dem Leitungsengpass werden Reservekraftwerke hochgefahren. Die Kosten dafür werden über das Netzentgeld an die Stromkunden weitergegeben.
Leitungsausbau schleppend
Die vier Übertragungsnetzbetreiber EON, Tennet, 50Hertz und TransnetBW müssen regelmäßig in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur das deutsche Stromnetz evaluieren und Ausbaupläne vorlegen, die die Stromversorgung auch in Zukunft sicherstellen. Der aktuelle Bericht der Übertragungsnetzbetreiber konstatiert einen starken Ausbaubedarf im Stromnetz bis zum Jahr 2030. Die Kosten belaufen sich in allen Szenarien auf über 60 Milliarden Euro.
Ob sich die zusätzlichen notwendigen Leitungen realisieren lassen, ist derweil ungewiss. Langsame Planung und Widerstand in der Bevölkerung gegen neue Übertragungsleitungen bremsen schon jetzt den Ausbau des Stromnetzes. So wurden seit Inkrafttreten des Bundesbedarfsplangesetzes im Jahr 2013 nur 600 Kilometer genehmigt und davon knapp 300 Kilometer gebaut. Aktuell sieht das Gesetz allerdings einen Ausbau des Netzes um 5.900 Kilometer vor.
Anbieter vernachlässigen Anbindung
Der Leitungsausbau ist teuer und geht kaum voran. Doch es gibt Alternativen, die den Ausbaubedarf des Netzes zumindest abmildern können.
Derzeit tragen die Stromproduzenten weder die Kosten für den Transport zum Kunden noch beziehen sie die Kosten des notwendigen Netzausbaus in ihr Kalkül ein. Deshalb wählen sie ihre Produktionsstandorte gesamtwirtschaftlich ineffizient weit entfernt von den Verbrauchern. Um die Produzenten dazu zu bringen, die Kosten für den Transport des Stroms zu ihren Kunden in ihre Standortplanung einzubeziehen, sollten die Produzenten an den Kosten beteiligt werden. Haucap und Pagel (2014) diskutieren u.a. zwei vielversprechende Lösungsansätze.
Mögliche Lösungen: Marktteilung oder Gebühr
Erstens könnte der deutsche Strommarkt in kleinere Teilmärkte aufgebrochen werden. Dann gäbe es nicht mehr einen einheitlichen Strompreis für Deutschland, sondern unterschiedliche Preise in den einzelnen Regionen. Diese Preise würden die relative Knappheit von Strom in den jeweiligen Regionen widerspiegeln. In Süddeutschland, wo der Verbrauch hoch ist und derzeit relativ wenig Strom erzeugt wird, wäre ein höherer Preis zu erwarten als im Norden und Osten Deutschlands. Der höhere Strompreis würde es attraktiver machen, in Süddeutschland Strom zu produzieren. Stromproduzenten würden daher Kapazitäten im Süden aufbauen und der Netzausbaubedarf würde sinken. Gleichzeitig wäre es für Stromverbraucher attraktiver, sich in Nord- und Ostdeutschland niederzulassen. Allerdings würden kleinere Teilmärkte und weniger Netzausbau auch zunächst weniger Wettbewerb bedeuten. Denn bayerische Produzenten würden nicht mehr direkt im Wettbewerb mit Offshore-Anlagen in der Nordsee stehen.
Zweitens könnten regional differenzierte Netzentgelte für Stromproduzenten eingeführt werden. Diesen Vorschlag ziehen Haucap und Pagel u.a. aus Wettbewerbsgründen der regionalen Aufteilung des Marktes vor. In Gebieten mit hohem Angebot sowie geringer Nachfrage würden höhere Entgelte und in Gebieten mit hoher Nachfrage sowie geringer Erzeugung niedrigere Entgelte verlangt. Produzenten hätten einen Anreiz, in Gebieten mit einem geringen Entgelt Kapazitäten aufzubauen. Solche regional differenzierten Entgelte gibt es beispielsweise in den geografisch zumeist deutlich kleineren Ländern Irland, Norwegen, Rumänien und Schweden. Der Nachteil dieser Lösung besteht darin, dass keine auf dem Markt entstehenden Preise relative Knappheiten signalisieren würden, sondern die Bundesnetzagentur Entgelte festsetzen würde. Die von der Behörde festgesetzten Preise könnten die tatsächlichen Knappheiten jedoch verzerrt anzeigen.
Netzausbau nicht alternativlos
Der politisch gewollte Umbau der deutschen Stromversorgung weg von konventionellen Kraftwerken hin zu erneuerbaren Energien kann nur gelingen, wenn die Kosten nicht aus dem Ruder laufen und die Transformation von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wird. Der schleppende Netzausbau ist in der Bevölkerung hoch umstritten und teuer, allerdings nicht alternativlos. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Preissignale zu nutzen, um eine bessere Standortwahl für Kraftwerke und Verbraucher zu erreichen und damit den Netzausbaubedarf zu verringern. Eine Aufteilung des deutschen Stromnetzes in kleinere Märkte oder regional ausdifferenzierte Netzentgelte sind zwei vielversprechende Alternativen. Beide Alternativen versprechen geringere Gesamtkosten und somit eine höhere Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.