Russlands Präsident Putin lässt die Muskeln spielen. Auf das massive Aufgebot russischer Truppen an der Grenze der Ukraine reagiert die deutsche Regierung, anders als viele ihrer westlichen Partner, zurückhaltend. Weder kann sich die Regierung unter Bundeskanzler Scholz zur Lieferung von Verteidigungsgerät für die bedrohte Ukraine durchringen, noch zur Androhung relevanter Sanktionen gegen Russland. Sanktionen gegen russische Banken etwa werden von deutschen Politikern mit dem Verweis abgelehnt, dass man ja seine Gasrechnungen noch bezahlen müsse. Die Wirtschaftswoche titelt: “Putin hat Deutschland im Griff wie der Dealer den Junkie”. Doch wie groß ist die Abhängigkeit tatsächlich?
Gasimporte aus Russland: Deutschland keine Sonderrolle
Im Jahr 2020 machten die Importe aus Russland mehr als die Hälfte aller Gasimporte nach Deutschland aus. Rund ein Drittel des importierten Erdgases stammt aus Norwegen. Weitere gut 12 Prozent werden aus den Niederlanden importiert. Nennenswerte eigene Förderung gibt es in Deutschland kaum.
Ein Blick auf die Situation in anderen EU-Staaten lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob sich Deutschland wirklich in einer außergewöhnlichen Gasversorgungssituation befindet, die einen deutschen Sonderweg im Umgang mit Russland rechtfertigen würde. Auch andere europäische Länder sind zu einem hohen Grad von Gasimporten abhängig und setzen zudem Gas zu einem relativ hohen Anteil in ihrem Energiemix ein. So ist etwa Italien ähnlich abhängig von Gasimporten und Gas macht zudem einen höheren Anteil am Energiemix aus. Auch Österreich ist in einer ähnlichen Lage wie Deutschland.
Gasreserven niedrig, aber nicht leer
Bereits in den vergangenen Monaten hat Russland die Lieferungen von Gas eingeschränkt. Dies zeigt sich auch an den relativ geringen Lagerbeständen in Europa. Anfang Januar 2022 fielen die Erdgasreserven in Europa unter 50 Prozent und liegen damit deutlich unter den Werten der Vorjahre. So waren die Lager zum Jahreswechsel 2020/21 noch zu gut 70 Prozent gefüllt. Für gewöhnlich wird der Tiefststand mit 15 bis 25 Prozent der Lagerkapazitäten gegen Ende des Winters im März/April erreicht. Ohne weitere Gasimporte würde die Versorgung vermutlich nicht bis zum Ende des Winters aufrecht erhalten werden können.
“Exxon-Mitarbeiter des Monats”: Wladimir Putin
Unter anderem haben die reduzierten russischen Gaslieferungen und die relativ geringen Lagerbestände in den vergangenen Wochen für stark steigende Gaspreise gesorgt. Der Preisanstieg blieb nicht ohne Folgen. Während zu den Preisen der vergangenen Jahre sich der Import von Gas fast ausschließlich über Pipelines gelohnt hat, haben die Preise nun ein Niveau erreicht, auf dem es für Anbieter auch attraktiv ist, Flüssiggas (LNG) per Schiff nach Europa zu importieren. Wie Satellitendaten zeigen, sind dutzende LNG-Tanker bereits auf dem Atlantik unterwegs, um amerikanisches Flüssiggas nach Europa zu bringen.
Der ehemalige US-Präsident Trump machte zu seiner Amtszeit Werbung für amerikanisches “Freedomgas”. Die Ironie der Geschichte: Nicht Trump oder sein Nachfolger Biden sorgen dafür, dass amerikanisches Gas in Europa ein Verkaufsschlager wird, sondern die durch das Säbelrasseln des russischen Präsidenten erhöhten Erdgaspreise.
Der europäische Gasbinnenmarkt
Das Flüssiggas kann nur an speziellen Verladeterminals abgeladen werden. Zudem muss es in speziellen Anlagen wieder in seinen ursprünglichen Aggregatzustand umgewandelt werden, um in das Gasnetz eingespeist werden zu können. Deutschland verfügt über kein einziges LNG-Terminal. Zwar gab es Pläne für den Bau von insgesamt vier Terminals, doch bisher hat die deutsche Bürokratie die Projekte erfolgreich vereiteln können. Auch Umweltlobbyverbände sehen die Projekte kritisch und verweisen auf bereits bestehende Terminals im EU-Ausland, die Deutschland mitversorgen können. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommt auch eine Untersuchung des DIW. Die geringe Auslastung der vorhanden LNG-Terminals spricht dafür, dass erhebliche Mengen zusätzlich importiert werden können. Schließlich würden wohl kaum dutzende LNG-Tanker sich auf den Weg nach Europa machen, wenn eine entsprechende Verladung an den Häfen nicht gewährleistet wäre.
Tatsächlich sieht es in unseren Nachbarländern besser aus. Größere Anlagen gibt es etwa in den Niederlanden und Belgien. Aber auch an der Mittelmeerküste gibt es entsprechende Anlagen. Auch das kleine Litauen leistet sich ein LNG-Terminal und machte sich mit der Inbetriebnahme unabhängiger von russischen Erdgaslieferungen. Litauen konnte damit deutlich attraktivere Konditionen mit den russischen Vertragspartnern aushandeln.
Wir sind in der glücklichen Lage, dass das europäische Gasnetz in den vergangen Jahren umfangreich erneuert wurde. Zuvor war das Gasnetz vor allem für den Ost-West-Transport ausgelegt: russisches Gas sollte seinen Weg zu den Verbrauchern in Westeuropa finden. Um für mehr Wettbewerb zu sorgen und die Energiesicherheit zu erhöhen wurde in den vergangenen Jahren allerdings weite Teile des Gasnetz “Reverse-Flow”-fähig gemacht. Gas kann nun in alle Richtungen fließen. Inzwischen kann Gas aus Westeuropa bis in die Ukraine geliefert werden.
Die Bemühungen um einen EU-Binnenmarkt für Gas tragen nun Früchte. Gas kann nun an fast jedem beliebigen Punkt in das Netz eingespeist werden und weiterverteilt werden. Dies befördert den Wettbewerb und, wie sich nun zeigt, auch die Energiesicherheit.
Russisches Gas nicht alternativlos
Sowohl kurzfristig als auch langfristig kann die Erdgasnachfrage auch ohne russische Importe gedeckt werden. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Frage des Preises, den vor allem die europäischen Konsumenten zahlen werden. Der Import russischen Gases ist nicht, wie einige deutsche Politiker suggerieren, alternativlos.
Sollte Russland seine Gaslieferungen tatsächlich einstellen, wären die Kosten kurzfristig hoch, aber im Kalten und Dunkeln würden wir, dank eines liberalisierten EU-Binnenmarkts für Gas und flexibler internationaler Märkte, nicht sitzen.
Erschienen bei: IREF.