Erst CO2-Steuer, dann Klimazölle?

Erst CO2-Steuer, dann Klimazölle?

Der Klimawandel beherrscht die Schlagzeilen des Sommers 2019. Auf weltweiten wöchentlichen Protesten rund um Fridays for Future wird ein schnellerer und effektiverer Klimaschutz gefordert. Die Bemühungen scheinen in Deutschland zu fruchten. Die deutsche Bundesregierung wird wohl noch dieses Jahr weitere Klimaschutzmaßnahmen beschließen, möglicherweise in Form einer CO2-Steuer oder eines Zertifikatehandels. Werden solche Maßnahmen nicht weltweit eingeführt, sondern nur national, verteuern sie Aktivitäten im Inland relativ zu Aktivitäten in Ländern, die keine oder weniger kostspielige Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Dies kann zu ungewollten Ausweichreaktionen führen in Form des sogenannten Carbon Leakage – einer Verlagerung der CO2-Emission, die der angestrebten CO2-Reduktion entgegenwirkt. 

Um die Wirksamkeit nationaler Klimaschutzmaßnahmen nicht durch Carbon Leakage zu gefährden, werden bereits erste Forderung nach „Klimazöllen“ laut. Doch Klimazölle sind nicht erste Wahl, um Carbon Leakage zu verhindern. Andere Instrumente, wie die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten oder eine Kompensation für höhere Strompreise für von Carbon Leakage gefährdete Branchen, sind besser geeignet, die Wirksamkeit nationaler Klimaschutzmaßnahmen zu gewährleisten. 

Formen des Carbon Leakage

Carbon Leakage, die Verlagerung der mit CO2-Emissionen einhergehenden Produktion in Länder mit keinem oder geringeren Klimaschutzniveau, kann in verschiedenen Formen auftreten und ist schwer zu erfassen. Im offensichtlichen Fall werden Standorte geschlossen und in anderen Ländern wiedereröffnet. Doch nicht immer ist der Carbon Leakage so greifbar. Firmen können auch Investitionen im dem Klimaschutz verpflichteten Land vermindern und in anderen Ländern erhöhen. Auch der schleichende Verlust von Marktanteilen an andere Firmen, die im Ausland keine Klimaschutzkosten tragen müssen, ist eine Form des Carbon Leakage. 

Carbon Leakage betrifft nicht alle Branchen gleichermaßen. CO2-intensive Produkte mit einer hohen Preissensitivität der Nachfrage und einem hohen Exportanteil sind besonders anfällig für die Verlagerung der Produktion. Aichele und Felbermayr finden bei ihrer Analyse der Auswirkungen des Kyoto Protokolls, dass vor allem CO2- und energieintensive Industrien in den Bereichen Stromerzeugung, Grundmetalle, Chemikalien, andere nichtmetallische Mineralien, Fahrzeuge, Maschinen, Papier und Zellstoff von Carbon Leakage betroffen sind. 

Gemäß der Ergebnisse von Aichele und Felbermayr sind die Kohlenstoffimporte der im Rahmen von Kyoto verpflichteten Länder aus nicht verpflichteten Ländern um rund 8 Prozent und die Emissionsintensität ihrer Importe um rund 3% gestiegen. Carbon Leakage ist also ein potentiell relevantes Phänomen.

Das Ausmaß des Carbon Leakage wird vor allem durch die Höhe der durch Klimaschutzmaßnahmen zusätzlich entstehenden Kosten im Vergleich zu alternativen Standorten bestimmt. Je höher etwa eine deutsche CO2-Steuer oder der Preis zu erwerbender Zertifikate ausfallen würde, desto stärker wären die erwarteten Verlagerungseffekte. 

Klimazölle: Umsetzung fragwürdig

Um den Carbon Leakage in CO2-intensiven Industrien zu verhindern, werden derzeit auch „Klimazölle“ diskutiert. Was in der öffentlichen Diskussion als „Klimazölle“ firmiert, wird in der Wissenschaft als CO2-Grenzausgleich diskutiert. Dieser Grenzausgleich würde nicht nur Importe durch Zölle belasten, sondern auch gleichzeitig Exporte subventionieren, um die Nachteile der inländischen Klimaschutzmaßnahmen auszugleichen. In einem Beitrag für das Wall Street Journalplädierten jüngst zahlreiche amerikanische Ökonomen, darunter 27 Nobelpreisträger, für die Einführung einer CO2-Steuer in den USA in Kombination mit einem solchen Grenzausgleich.

Die konkrete Ausgestaltung eines solchen CO2-Grenzausgleichs, den es bisher in keinem Land gibt, ist schwierig. Es stellt sich die Frage, wie weit differenziert und damit wirkungsgenau die Zölle sein sollen. Sollen etwa Produktkategorien oder einzelne Produkte Grundlage für die Zölle sein und sollen diese mit einem einheitlichen Satz verzollt werden? Sollten die Produkte aus unterschiedlichen Ländern gemäß der jeweiligen Länder-Produkt spezifischen CO2-Intensität verzollt werden? Es wäre auch denkbar, dass jeder Hersteller den CO2 Ausstoß dokumentieren muss und damit herstellerspezifische Zölle erhoben werden. Administrativ wären wohl schon Länder-Produkt spezifische Zollsätze kaum zu bewältigen. 

Klimazölle: Alter Protektionismus in neuem Gewand?

Erschwerend kommt hinzu, dass gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation ihre Mitglieder sich gegenseitig nicht unterschiedlich behandeln dürfen. Deutschland beziehungsweise die EU dürfte nicht ohne weiteres Klimazölle unterschiedlicher Höhe von Exporteuren aus anderen WTO-Mitgliedsländern verlangen.

Klimazölle würden so die derzeit ohnehin unter Druck geratene internationale Handelsordnung weiter schwächen und zudem ein Einfallstor für zusätzlichen Protektionismus darstellen. Denn die Versuchung ist groß, Klimazölle zweckzuentfremden und für die Abwehr unliebsamer Konkurrenz aus dem Ausland zu nutzen. Der durch Klimazölle entfachte Protektionismus könnte dabei vor allem ärmere Länder treffen, die sich ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen nicht leisten können. 

Die Alternativen

Klimazölle sind jedoch nicht die einzige Möglichkeit, um Carbon Leakage zu begrenzen. Die EU hat im Jahr 2005 ein Emissionshandelssystem (ETS) eingeführt, welches etwa 45 Prozent aller Emissionen in der EU berücksichtigt. Da die Menge der Verschmutzungsrechte durch eine Obergrenze limitiert ist, konkurrieren Unternehmen um die Verschmutzungsrechte und zahlen einen Preis, der sich durch Angebot und Nachfrage determiniert wird. Um Carbon Leakage vorzubeugen, hat die EU das Emissionshandelssystem gemeinsam mit zwei begleitenden Instrumenten eingeführt

Erstens, Emissionsrechte können Unternehmen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Sie werden damit von den direkten Kosten des Emissionshandels befreit. 

Zweitens, Unternehmen können auch für die indirekten Kosten entschädigt werden. Dies betrifft Unternehmen, die nicht direkt in ihrer Produktion CO2 emittieren und somit keine Emissionsrechte kaufen müssen, aber aufgrund des Emissionshandelssystems mehr für den Strom für ihre energieintensive Produktion bezahlen. In Deutschland wurden in solchen Fällen im Jahr 2016 für die Strompreiskompensation 289 Millionen Euro aufgewendet. 

Unumstritten sind beide Maßnahmen nicht. Schließlich werden manche Branchen gegenüber anderen Branchen bevorteilt. Jede Branche hat einen Anreiz, sich selbst auch als Carbon Leakage gefährdet darzustellen, um in den Genuss kostenloser Zertifikate oder der Strompreiskompensation zu kommen. Wichtig sind daher transparente Kriterien, ab wann eine Branche als Carbon-Leakage-gefährdet eingestuft wird. 

Kostenlose Zertifikate und Strompreiskompensation geringeres Übel

Das Problem des Carbon Leakage sollten wir ernst nehmen, vor allem wenn eine konsequente CO2-Bepreisung eingeführt wird. Ein Grenzausgleich durch „Klimazölle“ könnte zwar theoretisch Carbon Leakage verhindern, wäre aber administrativ kostspielig und läuft Gefahr, als protektionistisches Instrument missbraucht zu werden. 

Die kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten und die Strompreiskompensation sind auch nicht ohne unerwünschte Nebenwirkungen, aber attraktivere Alternativen der Flankierung nationaler Klimamaßnahmen. Beide Maßnahmen sind administrativ weniger aufwendig und werden schon heute zur Reduzierung von Corban Leakage genutzt.

Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert