Schöne alte Welt: Früher war mehr Lametta

Schöne alte Welt: Früher war mehr Lametta

Loriot war ein Meister darin, die subtilen Gefühle seiner Mitmenschen humoristisch aufzuarbeiten. Das Gefühl, früher sei alles besser gewesen, kann kaum prägnanter zusammengefasst werden als mit dem berühmten Satz von Opa Hoppenstedt: “Früher war mehr Lametta”. Tatsächlich hing früher mehr Lametta an unseren Weihnachtsbäumen. Dennoch neigen wir dazu, die Vergangenheit zu verklären. Frühere Probleme erscheinen im Rückblick weniger dramatisch als heutige, während Erinnerungen an die guten Momente von früher heutige Erlebnisse in den Schatten stellen. Schließlich war früher sogar der Humor besser. 

Umfragen zeigen regelmäßig, dass sich Deutsche nach den “guten alten Zeiten” zurücksehnen. Besonders gut kommen dabei die 70er und 80er Jahre weg. Fast jeder Zweite findet, dass es in den 1980er Jahren besser war als heute. Auch im Hinblick auf die Zukunft scheinen die meisten Deutschen wenig optimistisch zu sein. Nur 15% erwarten in 50 Jahren bessere Lebensverhältnisse als heute. Fast die Hälfte erwartet eine Entwicklung zum Schlechteren. Diese Einschätzungen sind nur schwerlich mit messbaren Verbesserungen der Lebensqualität über die vergangenen Jahrzehnte in Einklang zu bringen. 

Das Lametta der Politiker

Nicht nur Loriot hat unsere heimliche Sehnsucht nach den “guten alten Zeiten” erkannt, auch Politiker. Früher waren angeblich Renten und Jobs sicher, Autobahnen und Schulen in tadellosem Zustand, das Ausmaß der Armut geringer und die Menschen somit glücklicher. Regelmäßig schlagen Politiker Reformen vor, die wünschenswerte und scheinbar in der Vergangenheit bereits realisierte Verhältnisse wieder herbeiführen sollen. In dieses Bild passt jedoch nicht, dass Deutsche heute zufriedener sind als je zuvor seit der Wiedervereinigung.

Der SPD Kanzlerkandidat Martin Schulz möchte Teile von Hartz IV wieder zurücknehmen. So soll das Arbeitslosengeld wieder wie früher länger gezahlt werden. Die schmerzlich hohen Arbeitslosenzahlen der Vergangenheit scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Auch der derzeitige US-Präsident überzeugte mit seinem Versprechen, Amerika wieder groß zu machen, viele Wähler. Handel durch Protektionismus einzuschränken wird den Menschen jedoch kaum die erhofften Jobs zurückbringen und ihnen vor allem in der langen Frist schaden.

Länger und reicher leben

Ein Blick auf abstrakte Kennzahlen wie das Pro-Kopf-Einkommen oder die Lebenserwartung deuten anders als die Referenzen auf die „gute alte Zeit“ darauf hin, dass in der Vergangenheit gewiss nicht alles besser war, sondern vielmehr schlechter. Heute lebt in Deutschland gemessen am Einkommen pro Kopf nicht nur die reichste Generation, sondern auch die mit der höchsten Lebenserwartung. Noch nie war das durchschnittliche erwartete Lebenseinkommen höher. Das reale durchschnittliche Einkommen hat sich seit 1970 mehr als verdoppelt. Frauen, die 1970 geboren wurden, haben eine Lebenserwartung von 73,4 Jahren. Frauen, die im Jahr 2015 geboren wurden, können erwarten, im Schnitt 10 Jahre länger zu leben. Heute geborene Männer werden sogar 11 Jahre länger leben als 1970 zur Welt gekommene Allerdings werden sie noch immer früher sterben als weibliche Gleichaltrige. 

Früher Luxus, heute Standard

Diese Fortschritte sind nicht nur ausgewählten Mitgliedern der Gesellschaft vorbehalten. Auch bei den relativ Ärmsten der Gesellschaft können deutliche Verbesserungen festgestellt werden. So entspricht der heutige ALG II-Satz inklusive der nicht-monetären Leistungen etwa dem durchschnittlichen Einkommen des Jahres 1972

Häufig wird gegen diese relativ abstrakten Kennzahlen eingewandt, es handele sich nur um eine wenig aussagekräftige Betrachtung von Durchschnittswerten. Die seien nicht dazu geeignet einzuschätzen, wie sich das Leben der Menschen verändert hat, welche sich unter dem Durchschnitt wiederfinden und beispielsweise weniger als das durchschnittliche Einkommen erzielen.

Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen, bietet die Betrachtung der Veränderung der Verbreitungsgrade von Gütern. Steigt der Anteil der Haushalte, die über ein bestimmtes Gut verfügen, deutlich, handelt es sich gewiss nicht um eine Verbesserung der Lebenssituation einiger weniger Haushalte oder Personen, sondern einer breiten Gruppe der Bevölkerung. 

Daten bezüglich der Entwicklung des Verbreitungsgrades liegen für Deutschland leider nur für einige ausgewählte Güter vor. Dennoch sind die bereitstehenden Daten aufschlussreich. Der Gebrauch vieler Güter und Dienstleistungen, die wir heute für selbstverständlich erachten, war in einigen Fällen vor wenigen Jahrzehnten — in der „guten alten Zeit“ — nicht selbstverständlich.

So waren Geschirrspülmaschinen 1973 Luxusgüter. Das Geschirr wurde in nur 6,9 % der Haushalte von einer Spülmaschine gereinigt — wohlgemerkt in Westdeutschland. Bis zum Jahr 2013 hatte sich der Anteil der Haushalte, die eine Geschirrspülmaschine benutzen, auf 67,3 % fast verzehnfacht.

Im Jahr 1973 verfügten nur 51 % der Haushalte über ein eigenes Telefon. 40 Jahre später war in 99,8 % der Haushalte ein Telefon zu finden. Während im Jahr 2013 95,1 % der Haushalte mit einem Farbfernseher ausgestattet waren, traf das 1973 auf nur 15 % zu. 

Die Bedeutung von Haushaltsgeräten sollte nicht unterschätzt werden. Hans Rosling zeigt, wie sehr Hausarbeit beispielsweise durch die Waschmaschine erleichtert wird. Heutzutage verfügen über 94 % der Haushalte in Deutschland über eine eigene Waschmaschine. 

Die Zahlen unterschlagen zudem, dass Farbfernseher heute einen deutlich angenehmeren Filmabend ermöglichen als vor 40 Jahren, Spülmaschinen Schmutz effektiver beseitigen und Telefone nicht mehr an einer Schnur hängen. 

Umso beeindruckender ist die Entwicklung der Verbreitungsgrade bezüglich ausgewählter Güter zudem angesichts der gesunkenen Durchschnittsgröße von Haushalten. Obwohl in einzelnen Haushalten heute durchschnittlich weniger Personen leben, stiegen die Verbreitungsgrade pro Haushalt. Pro Person sind also die Verbreitungsgrade noch schneller gestiegen.

Marktwirtschaft funktioniert!

Der technische Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte trug dazu bei, dass die Ungleichheit im Konsum zurückging. Die obigen Beispiele veranschaulichen, wie in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Luxusgüter- und Dienstleistungen, die zunächst nur für einige erschwinglich sind, nach und nach für nahezu jedermann zugänglich werden. 

Wir sollten auf der Hut sein, die Vergangenheit zu romantisieren. Unsere Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ ruft Politiker auf den Plan, die Maßnahmen vorschlagen, um die verklärte Vergangenheit wiederzubeleben. Oft bewirken gerade derartige rückwärtsgewandte Vorschläge das Gegenteil. Sie neigen dazu, die Triebfedern zu schwächen, die den Fortschritt ermöglichen und damit zu einem angenehmeren Leben für alle beitragen. Weder würde die von Donald Trump propagierte Abschottungspolitik nach außen Amerika wieder großartig machen, noch würden in Deutschland mit Zurücknahme der Agenda 2010 wieder sozialpolitische Paradieszustände zurückkehren. Wir sollten uns regelmäßig daran erinnern, dass zwar früher mehr Lametta war, aber bestimmt nicht alles besser.

Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert