Hohe Standards: Fluch oder Segen?

Hohe Standards: Fluch oder Segen?

Unser Leben wurde über die vergangenen Jahrzehnte deutlich angenehmer. Autos sind heute technisch ausgereifter, Wohnungen komfortabler und Medikamente sicherer. Dem technischen Fortschritt, ermöglicht durch eine marktwirtschaftliche Ordnung, sei Dank. Doch technischer Fortschritt erfolgt nicht linear. Es gibt viele Ideen. Einige setzen sich durch, andere dagegen scheitern technisch oder die Kunden nehmen sie nicht an. Bewähren sich technische Neurungen, finden sie schnell Einzug in Produkte – ganz ohne Zutun des Staates. 

Werden allerdings durch das Betreiben von Partikularinteressen oder motiviert durch überzogene Vorsicht seitens des Gesetzgebers zu hohe Qualitätsstandards eingeführt, kommt es zu unerwünschten Nebenfolgen. Produkte niedrigerer Qualität, die allerdings auch günstiger sind, verschwinden vom Markt. Beim jüngsten Vorstoß der EU-Kommission zur Erhöhung der Fahrzeugsicherheit durch die Verpflichtung zu einer Vielzahl neuer Sicherheits- und Assistenzsysteme in Neuwagen ist dies zu befürchten. Weitere Beispiele aus den Bereichen Wohnen und Medikamentensicherheit illustrieren die Nachteile zu hoher Standards ebenfalls. 

Everybody’s darling: Hohe Produktstandards

Hohe Standards versprechen eine hohe Qualität, Langlebigkeit von Produkten und eine bessere Umweltverträglichkeit. Schließlich sollen hohe Standards für Sicherheit sorgen, etwa bei Autos und Medikamenten oder in Hinblick auf den Brandschutz bei Wohnungen. Kurzum: Hohe Standards haben offensichtliche Vorteile und genießen einen guten Ruf. Gegen hohe – auch gesetzliche – Standards lässt sich auf den ersten Blick kaum etwas einwenden, denn ihre Vorteile sind offensichtlich. 

Standards: Die Nachteile

Den Vorteilen stehen allerdings auch potentielle Nachteile gegenüber. Werden gesetzliche Standards über dem Niveau minderwertiger aber auch günstiger Produkte gesetzt, können diese nicht mehr angeboten werden. Sollen die Bedürfnisse aller Konsumenten bei der Festlegung von Standards in Betracht gezogen werden, auch derjenigen, die Produkte minderer Qualität zu günstigeren Preisen bevorzugen, ist die zügige Deklaration neuer Mindeststandards problematisch. 

Technische Innovationen sind in der Regel zunächst teurer als bisherige Alternativen. Deswegen werden Innovationen meist zunächst nur in höherpreisige Produkte integriert. Dort machen die Zusatzkosten nur einen kleinen Anteil am Gesamtpreis des Produkts aus. Erst wenn die Kosten etwa durch eine Ausweitung und Verbesserung der Produktion gesunken sind und Konsumenten günstiger Produkte die Integration der Innovation nachfragen, werden sie auch in günstigen Produktsegmenten eingeführt. 

Erklärt der Staat neue technische Möglichkeiten voreilig zum Standard, werden günstige Produkte mittlerer und geringer Qualität überproportional verteuert und aus dem Markt gedrängt, obwohl es Kunden gibt, die diese bevorzugen. Hohe Standards schaden daher vor allem Konsumenten, die diese zwar qualitativ minderwertigen, aber auch günstigeren Produkte bevorzugen. 

Mögliche Gründe für systematisch zu hohe Standards

Für den Gesetzgeber ist es schwierig, das richtige Maß oder Niveau für einen Standard festzulegen, denn es fehlt ihm das notwendige Wissen. Zu hohe Standards können daher Resultat eines Irrtums des Gesetzgebers sein, ebenso wie zu niedrige Standards. Irrtümer des Gesetzgebers, die zu niedrige Standards nach sich ziehen, werden allerdings systematisch durch die Konsumenten korrigiert: Betroffene Produkte können sich nicht am Markt etablieren. Einen entsprechenden Korrekturmechanismus gibt es nicht für zu hohe Standards, die Produkte aus dem Markt drängen. Dies ist relevant, weil drei Anreizprobleme dazu beitragen, dass der Gesetzgeber systematisch zu zu hohen Standards tendiert. 

Erstens, gut gemeinter Paternalismus kann zu übertrieben hohen Standards führen, wenn der Gesetzgeber zum Schutz von Konsumenten hohe Standards garantieren will. Die dadurch höheren Produktionskosten, die den Konsum der Güter für einige Konsumenten verhindern, schätzt er möglicherweise als nebensächlich ein oder vernachlässigt sie vollständig.

Zweitens, der Selbstschutz des Gesetzgebers kann zu zu hohen Standards führen. Kommt es zu negativen Erfahrungen von Konsumenten oder gar zu einer Katastrophe, kann der Gesetzgeber darauf verweisen, mit der Einführung hoher Standards im Vorfeld das Möglichste getan zu haben. Setzt der Staat voreilig hohe Standards, muss er sich weniger häufig die Frage stellen lassen, wieso er einen niedrigen Standard nicht verhindert habe. 

Drittens, der Gesetzgeber kann zu hohe Standards auch beschließen, weil er dem Druck von Interessengruppen nachgibt, die sich unliebsamer Konkurrenz durch Produkte geringerer Qualität entledigen wollen. 

Welcher der drei Anreize für gewisse hohe und möglicherweise zu hohe Standards veranwortlich ist, ist nur schwer zu ermitteln. Beispiele, die den Drang zu hohen Standards illustrieren, gibt es jedoch zahlreiche. 

Beispiel Mobilität

Die EU-Kommission möchte, dass ab 2022 neue Autos verpflichtend mit Systemen ausgestattet sind, die die Ablenkung oder Mündigkeit des Fahrers erkennen, beim Rückwärtsfahren assistieren, die Spur halten, in Gefahrensituationen automatisch abbremsen und dauerhafte Geschwindigkeitsübertretungen unterbinden. 

Unabhängig von den möglicherweise gut gemeinten Beweggründen sind von der angestrebten Standardsetzung auch Nachteile zu erwarten. Günstige Neuwagen werden qualitativ aufgewertet, aber auch teurer. Vor allem jüngere unerfahrene Fahrer könnten vom Kauf eines günstigen Neuwagens abgehalten werden und auf deutlich ältere Fahrzeuge zurückgreifen, deren Sicherheitssysteme noch unter dem Niveau der Sicherheitssysteme von Neufahrzeugen liegen, die den zusätzlichen Anforderungen der EU bald nicht mehr genügen. Dazu passend zeigt eine Umfrage von Deloitte, dass deutsche Konsumenten in nur relativ geringem Umfang bereit sind, höhere Kosten für neue Sicherheitstechnologien zu tragen. Der Gesamteffekt verpflichtender Sicherheitssysteme für PKW, die höhere Produktionskosten nach sich ziehen, ist daher nicht unbedingt positiv. 

Beispiel Wohnen

Bezüglich des Wohnungsbaus gibt es Hinweise darauf, dass die regulatorischen Anforderungen in Deutschland zu hoch sind. So hat der Gesetzgeber beispielsweise bei strengen Auflagen zum Brandschutz möglicherweise ausschließlich den Schutz der Bürger vor Augen. Vielleicht möchte er sich mit sehr hohen Brandschutzanforderungen aber auch selbst schützen, um im gut sichtbaren Katastrophenfall darauf verweisen zu können, alles in seiner Macht Stehende getan zu haben, um die Bürger zu schützen. 

Die höheren Kosten, die mit einem hohen Brandschutz einhergehen, offenbaren sich hingegen nicht im Zuge einer gut sichtbaren Katastrophe, sondern werden von Mietern und Eigentümern Jahr für Jahr geschultert. 

Beispiel Medikamente

Die Zulassung neuer Medikamente illustriert das Bestreben staatlicher Einrichtungen, sichtbare Katastrophen zu vermeiden. Schädliche zugelassene Medikamente führen zu sichtbaren Opfern und entsprechenden Reaktionen der Öffentlichkeit. Ein Beispiel ist der Wirkstoff Thalidomid und der damit verbundene Contergan-Skandal. Medikamente werden daher sehr ausgiebig in langwierigen Verfahren getestet und im Zweifel nicht zugelassen. 

Doch die aufwendigen, staatlich geforderten Tests und Zulassungsverfahren führen dazu, dass Menschen, die von einem getesteten Medikament gesundheitlich profitieren könnten, es erst verspätet oder gar nicht erhalten. Sie tragen die Kosten der hohen Standards. 

One-size-fits-all?

Hohe Standards haben offensichtliche Vorteile und oft weniger offensichtliche Nachteile. Die Nachteile gehen dabei regelmäßig über monetäre Kosten in Form höherer Preise hinaus, wenn Produkte vom Markt verschwinden oder nie das Tageslicht erblicken.

Der Staat sollte sich daher bei der schnellen Festlegung von hohen Standards zurückhalten. Gewiss sollte er den Partikularinteressen von Anbietern, die günstige Konkurrenzprodukte eliminieren wollen, nicht nachgeben. Zudem sollte er sich selbst beim Versuch bremsen, mündige Bürger vor sich selbst zu schützen. Zuletzt sollte er Standards nicht einzig mit dem Ziel erhöhen, sich durch die Verhinderung von Katastrophenfällen selbst zu schützen.

Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.

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