„Deutschland zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt“ – gelegentlich können wir solche Meldungen in der Presse lesen. Dieses Kunststück gelang zum ersten Mal am Neujahrstag 2018 um 6 Uhr morgens: Während die Feierwütigen noch ihren Kater auskurierten und ungewöhnlich wenig Strom verbraucht wurde, blies der Wind im Norden kräftig. Doch an windstillen und bedeckten Tagen liefern Sonne und Wind kaum Strom. Dann ist die deutsche Stromversorgung auf konventionelle Kraftwerke, Wasserkraft- und Biogasanlagen angewiesen. Die politisch gewollte Energiewende wird nur gelingen, wenn die durch Wind und Sonne erzeugte Energie zwischengespeichert und weniger volatil zur Verfügung gestellt werden kann. Wie dies erreicht werden kann, ist offen. Einen Beitrag dazu könnte eine Gebühr für volatile Einspeisung in das Stromnetz leisten. Diese Gebühr würde einen technologieoffenen Entdeckungswettbewerb befördern und Investitionen in Technologien attraktiver machen, die die schwankende Einspeisung ausgleichen.
Versorgungssicherheit: Teure Eingriffe
Kurzfristige Schwankungen in Verbrauch oder Erzeugung von Strom sind normal. Die Übertragungsnetzbetreiber nutzen sogenannte Regelenergie, um Erzeugung und Verbrauch in jeder Sekunde auszugleichen. Kurzfristige Schwankungen werden durch das Hoch- und Herunterfahren von Kraftwerken und die Speicherung überschüssigen Stroms ausgeglichen. Der Ausgleich ist wichtig, damit die Netzfrequenz aufrecht gehalten werden kann.
Doch die unregelmäßig und schwer planbare Einspeisung von Solar- und Windstrom sowie der Ausstieg aus der Kernenergie stellen das deutsche Energienetz vor große Herausforderungen. Die Netzbetreiber müssen immer wieder Eingriffe vornehmen und mehr Reserven vorhalten, um die Stromversorgung sicher zu stellen.
Die Übertragungsnetzbetreiber halten permanent Kraftwerkskapazitäten in Höhe von 2.000 Megawatt als Kapazitätsreserve vor, um in nicht vorhersehbaren Situationen das Netz zu stabilisieren, etwa wenn die Windparks in der Nord- und Ostsee doch weniger Strom produzieren als geplant.
Für den kommenden Winter werden zusätzlich – insbesondere in Süddeutschland – gut 5.000 Megawatt Kraftwerkskapazitäten als Netzreserve bereitgehalten, um nach Bedarf mögliche Lücken zu schließen. Das entspricht der Leistung von gut drei Kernkraftwerken. Die Netzreserve besteht aus Kraftwerken, die eigentlich stillgelegt werden sollten. Die Stilllegung dieser Kraftwerke wurde allerdings untersagt. Die Planungen der Bundesnetzagentur sehen für den Winter 2022/23 eine Verdopplung der Reserve vor. Im Jahr 2018 wurde die Reserve an 166 Tagen beansprucht.
Ein letztes Sicherheitsnetz bilden fünf alte Braunkohlekraftwerke – die sogenannte „Braunkohlereserve“. Diese vorläufig stillgelegten Kraftwerke müssen sich bis zum Jahr 2023 betriebsbereit halten und im Notfall innerhalb von 10 Tagen Strom bereitstellen. Die Betreiber erhalten für die bislang noch nicht genutzte Reserve insgesamt jährlich gut 230 Millionen Euro.
Neben zusätzlichen Reserven können die Übertragungsnetzbetreiber Industrieanlagen den Strom abstellen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Auch die Einspeisung von Strom durch Wind- und Solaranlagen kann von den Übertragungsnetzbetreibern gedrosselt werden, etwa indem Windparks aus dem Wind gedreht werden. Die Betreiber erhalten dann eine Entschädigung, die sich im Jahr 2018 auf rund 635 Millionen Euro summierte.
Im Jahr 2018 beliefen sich die Gesamtkosten der Netzbetreiber für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit auf über 1,4 Milliarden Euro. Im Jahr 2011 waren es noch knapp 180 Millionen Euro. Im gleichen Zeitraum hat sich der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von 20 Prozent auf 35 Prozent erhöht.
Gebühren für volatile Einspeisung
Kosten, die vor allem durch die volatile Einspeisung von Wind- und Solarkraftwerksbetreibern verursacht werden, werden allerdings nicht von den sie verursachenden Produzenten getragen. Die Kosten trägt die breite Masse der Kunden, die keine Möglichkeit haben, die Verursacher der Volatilität zu disziplinieren.
Deshalb sollte auf dem Strommarkt bei den Betreibern von Kraftwerken angesetzt werden. Sie sollten die vollen Kosten der Volatilität der Stromeinspeisung tragen. Das würde sie dazu anhalten, die durch sie verursachte Volatilität zu begrenzen. Die Übertragungsnetzbetreiber könnten zu diesem Zweck abhängig von der Volatilität der Einspeisung von den Kraftwerksbetreibern Gebühren erheben. Je konstanter Strom bereitgestellt wird, desto niedriger wäre die Gebühr für den betroffenen Stromproduzenten. Derzeit ist es den Übertragungsnetzbetreibern gesetzlich untersagt, eine solche Gebühr zu erheben.
Die Einspeisegebühr würde zunächst Kraftwerke, die relativ stetig Strom produzieren, attraktiver machen – wie etwa Kernkraftwerke, Kohlekraftwerke aber auch Biogasanlagen, Wasserkraft- oder Geothermiekraftwerke. Wind- und Solarkraftwerke, die von dem relativ unsteten deutschen Wetter abhängig sind, würden mit höheren Gebühren belastet.
Investitionen in Speichertechnologien attraktiver
Wind- und Solarstromproduzenten stünden vor der Wahl, die Gebühr zu zahlen oder sie zu vermeiden, indem sie die Schwankung der Stromeinspeisung ihrer Kraftwerke reduzieren. Die schwankungsabhängige Einspeisegebühr würde daher Investitionen in Speichertechnologien attraktiver machen. Investition in Pumpspeicherkraftwerke oder Großbatterien könnten für Wind- und Solarstromproduzenten attraktiv werden. Ebenso könnte mit Hilfe von Power-to-Gas Energie zwischengespeichert werden. Auch Kombikraftwerke, die Schwankung durch einen Mix an regenerativer Energien reduzieren, werden attraktiver.
Doch auch im Kleinen könnte die schwankungsabhängige Einspeisegebühr wirken. Würden Eigenheimbesitzer, die eine Solaranlage installiert haben, mit einer geringeren Netzgebühr belohnt, wenn sie weniger volatil ihren Strom ins Netz abgeben, wären auch für diese Kleinproduzenten Speichertechnologien finanziell attraktiv. So könnten Batterien in Eigenheimen genutzt werden, um Strom zwischen zu speichern. Dazu müsste nicht mal eine zusätzliche Batterie angeschafft werden. Elektroautos könnten als Zwischenpuffer genutzt werden.
Todesstoß für Erneuerbare?
Besonders volatile Technologien, vor allem Wind- und Solarstrom, würden durch die schwankungsabhängige Einspeisegebühr relativ zu vielen konventionellen Kraftwerken und anderen regenerativen Energietechnologien an Attraktivität einbüßen. Derzeit werden die durch die Volatilität entstehenden Kosten von Wind- und Solarenergie nicht von den entsprechenden Produzenten getragen, was zur Ineffizienz der Förderung von regenerativen Energietechnologien in Deutschland beiträgt. Politisch gewollt ist eine Förderung der regenerativen Energietechnologien, aber nicht der Wind- und Solarenergie im Besonderen.
Sichere Versorgung nur mit Marktwirtschaft
Immer wieder wird beteuert, dass ein deutlich höherer Anteil erneuerbarer Energie technisch möglich ist – sogar 100 Prozent. Die Lösung der dem entgegenstehenden technischen Probleme kann nicht am Reisbrett erfolgen. Vielmehr müssen wir uns auf die Kreativität der Vielen verlassen. Ein marktwirtschaftlicher Ordnungsrahmen, der sicherstellt, dass Individuen die Früchte ihres Handels ernten können, aber auch die vollen, durch sie entstehenden Kosten tragen, ermöglicht einen technologieoffenen Entdeckungswettbewerb. Eine schwankungsabhängige Einspeisegebühr könnte dazu einen Beitrag leisten.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.