Mein Zahnarzt, eine Heuschrecke?

Mein Zahnarzt, eine Heuschrecke?

In letzter Minute hat es, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, eine bedauerliche Änderung in das Mitte März 2019 beschlossene Terminservice- und Versorgungsgesetz geschafft. Die Gründung sogenannter zahnmedizinischer Versorgungszentren, in denen mehrere Zahnärzte praktizieren, wurde durch den Gesetzgeber erschwert. Zuvor hatten Zahnarztlobbyverbände argumentiert, dass zahnmedizinische Versorgungszentren die flächendeckende Versorgung gefährden und der Betrieb solcher Zentren durch gewinnorientierte Kapitalgesellschaften nicht im Sinne der Patienten sei. Die Zahnarztlobby feiert die Einschränkung als „Ordnungspolitisch sinnvolle Regulierung von Fremdinvestoren und Private Equity-Fonds“. Doch es handelt sich keineswegs um eine ordnungspolitisch sinnvolle, der flächendeckenden Versorgung förderliche oder dem Patientenwohl dienliche Einschränkung – im Gegenteil. Förderlich ist die Einschränkung lediglich für niedergelassene Zahnärzte.

Zahnmedizinische Versorgungszentren seit 2015 möglich

Seit dem Jahr 2015 dürfen sich Ärzte gleichen Fachs zu sogenannten medizinischen Versorgungszentren zusammenschließen. Zuvor waren medizinische Versorgungszentren nur fachübergreifend gestattet. So dürfen seit 2015 auch Zahnärzte Versorgungszentren betreiben. Für die Zahnärzte bedeutet dies, dass sie die Praxis mit mehreren Kollegen teilen können. Zuvor war die Größe von Zahnarztpraxen, auch von Gemeinschaftspraxen, gesetzlich beschränkt. So durfte ein Vertragsarzt nicht mehr als zwei weitere Zahnärzte in Vollzeit beschäftigen. 

Zahnmedizinische Versorgungszentren erlauben es deutlich mehr Zahnärzten, ihren Beruf als Angestellte auszuüben. Eine Festanstellung ist gerade für junge Ärzte eine attraktive Alternative zu einer eigenen Praxis oder dem Einstieg in eine Gemeinschaftspraxis. Die Gründung einer Praxis oder die Übernahme einer bestehenden Praxis ist kostspielig. Nach Angaben der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung investierten 2017 Zahnärzte für eine eigene Praxis im Durchschnitt über eine halbe Million Euro. Auch die Übernahme einer Praxis schlägt mit knapp 370.000 Euro und der Einstieg in eine Gemeinschaftspraxis mit über 260.000 Euro zu buche.

Wird das Kapital dagegen durch Dritte bereitgestellt, wie es bei einigen Versorgungszentren der Fall ist, ist die Eröffnung einer Praxis nicht mehr von den finanziellen Möglichkeiten des Arztes abhängig. 

Die Kooperation mehrerer Zahnärzte unter einem Dach hat weitere Vorteile. So können Zahnärzte in Versorgungszentren Größenvorteile ausschöpfen. Infrastruktur wie etwa für Buchhaltung, Personalmanagement, Einkauf und Lagerung können von mehreren Ärzten genutzt werden. Davon können durch den Wettbewerb der Zahnärzte untereinander auch die Patienten profitieren.

Kapitalgesellschaften gründen mit „Kniff“

Kapitalinvestoren können nur durch einen „Kniff“ in zahnärztliche Zentren investieren, denn gründen dürfen medizinische Versorgungszentren nur Vertragsärzte, Krankenhäuser, bestimmte Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen sowie bestimmte gemeinnützige Trägerorganisationen. 

Finanzinvestoren kaufen daher häufig marode Kliniken oder nichtärztliche Dialyseleistungserbringer, um diese als Vehikel für die Gründung von Versorgungszentren zu nutzen. Hat ein Investor einmal mit Hilfe eines maroden Krankenhauses oder eines Dialysezentrums ein zahnmedizinisches Versorgungszentrum errichtet, können weitere Filialen des Zentrums eröffnet werden. Gegen diesen „Kniff“ wurde nun im neuen Terminservice- und Versorgungsgesetz vorgegangen. 

So dürfen Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen keine nicht-fachbezogenen Versorgungszentren mehr eröffnen. 

Auch das Recht von Krankenhäusern, Versorgungszentren zu gründen, wurde im Terminservice- und Versorgungsgesetz stark eingeschränkt. Krankenhäuser dürfen nun nur noch zahnmedizinische Versorgungszentren gründen, wenn jenes „einen fachlichen und räumlichen Bezug zum Versorgungsauftrag des MVZ hat.“ Dies bedeutet, dass die Zentren sich in der Nähe des gründenden Krankenhauses befinden müssen und das Krankenhaus eine Fachabteilung im Gebiet der Zahnheilkunde haben muss. Von diesen Bedingungen kann ein Zentrum ausgenommen werden, wenn durch die Eröffnung in einer Region eine bestehende oder drohende Unterversorgung beseitigt werden kann. Allerdings ist die zahnärztliche Versorgung flächendeckend so gut, dass nur in einem Planungsbezirk in Thüringen eine statistische Unterversorgung vorliegt. Faktisch wird mit der neuen Regelung der „Krankenhaus-Kniff“ unterbunden und damit werden Kapitalinvestoren aus der zahnmedizinischen Versorgung ausgeschlossen. 

Gewinnstreben widerspricht nicht Patientenwohl

Die Aktivitäten der Investoren werden von den Mitbewerbern naturgemäß kritisch gesehen. Laut dem Präsidenten der Bundeszahnärztekammer zähle für Investoren nur „die Gewinnmaximierung und die höchstmögliche Verzinsung des Kapitals. Davor müssen unsere Patienten geschützt werden.“Ähnlich argumentieren auch die Interessenvertreter der Apotheken für das Fremd- und Mehrbesitzverbot, damit Apotheken eine „Heuschreckenfreie Zone“ bleiben. 

Es ist abwegig, dass Apotheker die Kapital für ihre Apotheke bereitstellen, kein Interesse an dem wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmens haben. Das gleiche gilt für Zahnärzte, die in ihre eigene Praxis investieren. Gerade Zahnärzte sind nicht unbedingt für ihr uneigennütziges Verhalten bekannt. Das ist auch nicht verwerflich. Denn das Streben nach Gewinnen steht, ebenso wie in anderen Bereichen des Gesundheitssystems, nicht in einem grundsätzlichen Gegensatz zu den Interessen der Patienten.

Flächendeckende Versorgung gefährdet?

Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung argumentiert ferner, dass zahnmedizinische Versorgungszentren der Versorgung in ländlichen Gebieten schaden würde. So seien 79 Prozent aller zahnmedizinischen Versorgungszentren in städtischen Gebieten und nur 21 Prozent in ländlichen Regionen gegründet worden. Zudem würden die besseren Arbeitsbedingungen und Verdienstaussichten Zahnärzte vom Land in die Stadt locken und dadurch die Versorgung auf dem Land weiter gefährden. 

Der Bundesverband für Nachhaltige Zahnheilkunde, der die Interessen der zahnmedizinischen Versorgungszentren vertritt, argumentiert dagegen, dass „deutlich mehr als 80% der niedergelassenen Zahnärzte ihre Praxen in den Städten haben, und weniger als 20% auf dem Lande.“Sind die Zahlen der beiden Verbände verlässlich, dann scheinen sich zahnmedizinische Versorgungszentren bei der Standortwahl ähnlich zu verhalten, wie ihre niedergelassenen Kollegen. 

Dies wäre auch nicht verwunderlich. Inhaber von klassischen Zahnarztpraxen machen sich ebenso wie ihre Kollegen in den Versorgungzentren Gedanken, wo sie ihre Dienste am besten anbieten können. Dass dichter besiedelte und womöglich wohlhabendere Gegenden bei Zahnärzten in klassischen Praxen und für Versorgungszentren beliebter sind, überrascht nicht. 

Patienten vor dem Kapital schützen?

In einem Beitrag des ARD-Magazin PlusMinus wird die Befürchtung geäußert, dass die Kapitalgeber der zahnmedizinischen Zentren aus Gewinnmaximierungsgründen den Patienten unnötige und zu teure Behandlungen verkaufen würden. Dies mag im Einzelfall zutreffend sein. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dies nicht auch bei klassischen Arztpraxen vorkommt. Würden zahnmedizinischen Zentren tatsächlich dauerhaft solche zwielichtigen Methoden anwenden, dürfte es reichlich Konkurrenten geben, die auf diesen Umstand hinweisen und versuchen, Patienten für sich zu gewinnen. Die Konkurrenten ihrer Zahnärzte bieten für Patienten einen verlässlichen Schutz. 

Frisches Kapital ist gut!

Die Politik sollte der Gründung von medizinischen Versorgungszentren keine Steine in den Weg legen. Investitionen von Kapitalinvestoren in die zahnärztliche Versorgung sind begrüßenswert und sollten erlaubt sein. Ein weiterer Kapitalzufluss würde auch im zahnärztlichen Bereich Investitionen in moderne Ausstattung und schließlich eine bessere Versorgung ermöglichen. Leider ist das beschlossene Terminservice- und Versorgungsgesetz in der Hinsicht ein großer Rückschritt.

Erschienen bei: IREF.

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