Autonome Autos: Das Ende des ÖPNVs (wie wir ihn kennen)?

Autonome Autos: Das Ende des ÖPNVs (wie wir ihn kennen)?

Im Mai beschloss der Bundestag ein Gesetz zum autonomen Fahren. In den USA und China werden autonome Fahrzeuge bereits weit umfangreicher als in Deutschland getestet. Das neue Gesetz und die vielen erfolgreichen Tests von Unternehmen sind Hinweise darauf, dass das autonome Fahren keine weit entfernte Zukunftsmusik mehr ist. Autonome Fahrzeuge haben das Potential, unsere Mobilität dramatisch zu verändern. Autonome Shuttles auf festgelegten Routen könnten den öffentlichen Nahverkehr revolutionieren, Robotaxen und autonome Fahrzeuge im privaten Besitz den Individualverkehr. Ob das neue Gesetz tatsächlich, wie Verkehrsminister Scheuer meint, ein „Riesenschritt Richtung Zukunft“ ist, wird sich bald zeigen. 

Für autonome Angebote offen 

Einer aktuellen und repräsentativen Umfrage zufolge kann sich die Mehrheit der Deutschen schon jetzt vorstellen, autonome Angebote zu nutzen. Die Hälfte der Befragten gab an, sich vorstellen zu können, autonome Taxen zu benutzen. 60 Prozent gaben an, sich vorstellen zu können, ein autonomes Fahrzeug privat zu kaufen oder zu leasen. 

Stufen der Entwicklung

Der Automatisierungsgrad von Fahrzeugen wird üblicherweise in sechs Stufen unterteilt. In der sogenannten „Stufe 0“ verfügen die Fahrzeuge über keine Assistenzsysteme. Der Fahrer führt das Fahrzeug allein. Fahrzeuge der Stufe 1 beherrschen das assistierte Fahren, etwa mit Hilfe eines Tempomats. Ist die Automatisierungsstufe 2 erreicht, wird vom teilautomatisierten Fahren gesprochen. Der Fahrer muss weiterhin dauerhaft das Fahrzeug überwachen und im Zweifel eingreifen. Die meisten modernen Autos verfügen über Assistenzsysteme der Stufe 2. Selbst Kleinwagen können heute bereits automatisch einparken, aktiv die Spur halten und verkehrsabhängig die Geschwindigkeit regulieren. 

Auf der dritten Stufe entfällt die dauerhafte Überwachung durch den Fahrer. In gewissen Situationen kann das Fahrzeug selbstständig agieren und der Fahrer muss nicht sofort eingreifen können. Die vierte Stufe beschreibt Fahrzeuge, die vollautomatisiert fahren. In bestimmten spezifischen Anwendungsfällen, etwa auf festgelegten Routen oder in vorgezeichneten Bereichen können diese Fahrzeuge alle Situationen automatisch meistern. In der höchsten Automatisierungsstufe sind die Fahrzeuge fahrerlos und können Passagiere von „Start“ bis „Ziel“ befördern. 

Robotaxen: Führender Standort Kalifornien

Doch wie weit sind die Hersteller heute? Der führende Standort für den Test autonomer Fahrzeuge ist der US-Bundesstaat Kalifornien. Dort werden bereits Robotaxen der Stufe 4 mit echten Fahrgästen in festgelegten Bereichen getestet. Die Firma Cruise, eine Tochter des US-Autobauer General Motors, betreibt in San Franzisco 300 Fahrzeuge ohne Sicherheitsfahrer, die nur durch Eingriffe über eine Zentrale betreut werden. Insgesamt hat Cruise im Jahr 2020 mit über 1,2 Millionen Kilometern mit Abstand die meisten Testkilometer aller in Kalifornien gemeldeter Unternehmen, die Tests durchführen, absolviert. Während dieser Tests musste nur alle 45.000 Kilometer durch einen Sicherheitsfahrer eingegriffen werden. 

Ein weiterer Entwickler ist die Alphabet (Google)-Tochter Waymo, welche als weltweit führend in der autonomen Fahrtechnik gilt. Auch Waymo hat für das vergangene Jahr über 1 Million Testkilometer vorzuweisen und nur alle 48.000 Kilometer war die autonome Technik überfordert, sodass ein Fahrer eingreifen musste. 

Auch ein chinesischer Anbieter testet fleißig in Kalifornien. Pony.AI kam 2020 auf über 360.000 Testkilometer und musste alle 17.000 Kilometer in die autonome Fahrzeugsteuerung eingreifen. 

Zum Vergleich: Mercedes hat nur knapp 48.000 Testkilometer in Kalifornien zurückgelegt und musste alle 41 Kilometer eingreifen. 

Robotaxen: flexibel und komfortabel

Robotaxen kommerzieller Anbieter und autonome PKWs privater Haushalte können einige Vorteile des öffentlichen Personennahverkehrs mit den Annehmlichkeiten des Individualverkehrs kombinieren. So müssen die Nutzer ihre Planungen nicht an Fahrpläne anpassen – das eigene autonome Auto steht immer zur Verfügung und Robotaxen auf Abruf bereit. Die Nutzer werden nicht mit Fahraufgaben behelligt und können die Zeit für andere Aktivitäten nutzen – wie heute während einer Bahnfahrt. Start und Zielpunkt sind flexibel. Während der bisherige ÖPNV nur festgelegte Punkte bedient, können autonome Fahrzeuge die endgültigen Ziele der Nutzer ansteuern. Zudem wird der Kreis potentieller Nutzer erweitert, da kein Führerschein für die Nutzung autonomer Verkehrsangebote notwendig ist. 

Möglicherweise wird sich durch das Angebot autonomer Mobilitätsdienste die Autodichte verringern. Die Dienstleistungsanbieter werden versuchen, Standzeiten ihrer Robotaxen möglichst gering zu halten. Roboautos können zudem mit weniger Sicherheitsabstand fahren und so höhere Verkehrsaufkommen ermöglichen. Ein weiterer Vorteil gegenüber dem bisherigen ÖPNV ist, dass autonome Fahrzeuge keine eigene Infrastruktur brauchen. Bahntrassen, Bahnhöfe und Bushaltestellen würden im jetzigen Umfang nicht mehr benötigt. 

Europa: Automatische Shuttles

In Europa werden autonome Robotaxen derzeit noch nicht getestet, anders als in den USA. Bei uns werden vor allem automatische Shuttles getestet. Diese haben zwar eine ähnliche Sensorik wie die Robotaxen in den USA, aber die Datenverarbeitung ist vergleichsweise rudimentär. Deshalb können automatische Shuttles derzeit nur auf festen Routen bei sehr langsamen Geschwindigkeiten eingesetzt werden. 

Das vom Bundestag beschlossene Gesetz zum autonomen Fahren adressiert vor allem den Einsatz von autonomen Shuttles der Stufe 4. Es richtet sich nicht an mögliche autonome Fahrzeuge privater Halter. Allerdings wären Robotaxen mit einem beschränkten Betriebsgebiet, wie etwa bei Cruise in San Franzisco, mit der neuen Gesetzeslage möglich. 

Angesichts der noch fehlenden Testerfahrung mit Robotaxen in Europa ist es realistischer, dass zukünftig zunächst automatische Shuttles Teil des bekannten ÖPNV-Netzes werden. Potentiell kann dank geringerer Personalkosten ein solches Angebot kostendeckender als das bisherige bereitgestellt werden. Entsprechend könnten Mobilitätsangebote in bisher nicht erschlossenen ländlicheren Gebieten ausgeweitet werden. Die autonome Technik birgt daher nicht nur Risiken für den ÖPNV. Sie kann ihn auch stärken.

Autonome Fahrzeuge werden Verkehr verändern

Unabhängig davon, ob autonome Technik in den ÖPNV integriert wird, sollten Angeboten, basierend auf autonomem Fahren, keine Steine in den Weg gelegt werden. 

Ob sich vor allem autonome Shuttles oder Robotaxen durchsetzen werden, bleibt abzuwarten. Neue innovative Transportdienstleistungen privater Anbieter werden allerdings angesichts der fortgeschrittenen Tests etwa in Kalifornien eines Tages auch nach Deutschland kommen, so die Regulierung es zulässt. 

Die Intel-Tochter Mobileye hat angekündigt, schon im nächsten Jahr Robotaxen auch in Deutschland anzubieten. Auch VW hat einen solchen Dienst in Aussicht gestellt. Ob den Ankündigungen auch Taten folgen, wird sich zeigen. Deutschlands starke Autoindustrie mit entsprechender Forschung im Bereich der autonomen Fahrzeugtechnik bietet gute Vorrausetzungen. Sollten daher wie in Kalifornien umfangreiche Tests und Angebote mit Robotaxen zügig in Deutschland auf die Straße kommen, wäre Scheuers Gesetz ein echter Erfolg. 

Sollten in den nächsten Monaten solche Angebote und Tests nicht den Weg auf Deutschlands Straßen finden, müsste zügig nachjustiert werden. Klar ist schon jetzt, dass das neue Gesetz die Nutzung von privaten PKWs der Stufe 4 und 5 nicht ermöglicht. Möchte Deutschland nicht nur mit Kalifornien gleichziehen, sondern tatsächlich Vorreiter werden, dann sollten auch für private autonome PKWs die rechtlichen Rahmenbedingungen zügig ausgestaltet werden.

Erschienen bei: IREF.

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