Zuwanderung nach Deutschland war in den letzten 15 Jahren, anders als häufig wahrgenommen, überwiegend ein EU-Phänomen. Jeder zweite Einwanderer stammte aus einem EU-Land. Innerhalb der EU gilt für Arbeitnehmer die uneingeschränkte Freizügigkeit. Unionsbürger dürfen in andere Mitgliedstaaten auch einreisen und sich dort aufhalten, um Arbeit zu finden. Für Personen aus Staaten außerhalb der EU sind die Barrieren ungleich höher. Da die Bundesregierung die Zuwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern fördern möchte, sollte sie die Zuwanderungsregeln für Personen aus Drittstaaten stärker an das für EU-Bürger geltende Regelwerk angleichen. Dann würde auch die Zuwanderung aus Drittstaaten weniger stark von historischen Zufällen bestimmt werden wie den Zusammenbruch der Sowjetunion oder den Bürgerkrieg in Syrien.
Top 10 Zuwanderungsländer des Jahres 2019
Im Jahr 2019 wanderten überwiegend Menschen aus Ländern Europas nach Deutschland ein. Gewichtige Ausnahmen waren Syrien, die Türkei und Indien, wie ein Blick auf die zehn Länder mit der höchsten Nettozuwanderung nach Deutschland zeigt.
Aus Syrien sind im Jahr 2019 netto fast 24.000 Menschen nach Deutschland eingewandert. Mit großem Abstand liegt allerdings Rumänien auf Platz 1, mit über 40.000 Nettozuzügen. Die Zuwanderung aus Rumänien stieg in Folge des EU Beitritts des Landes im Jahr 2007 deutlich an, wie auch im Falle anderer Länder, die im Zuge der EU-Osterweiterung der Union beitraten.
2019 wanderten netto über 20.000 Menschen aus Indien nach Deutschland ein. Hier scheinen die Bemühungen um Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland Früchte zu tragen. Auffällig ist auch eine hohe Zuwanderungsaktivität aus Italien. Netto mehr als 17.500 Menschen fanden ihren Weg über die Alpen nach Deutschland. Neben der großen italienischstämmigen Bevölkerung in Deutschland, ehemalige Gastarbeiter und ihre Nachkommen, trug gewiss die zuletzt schwache wirtschaftliche Entwicklung Italiens zu diesen Wanderungsbewegungen bei.
Die Top 10 der letzte 15 Jahre
Die vergangenen 15 Jahre zeichnen ein ähnliches Bild wie das Jahr 2019. Insbesondere durch die hohe Zuwanderung im Jahr 2015 bilden Syrer über diesen Zeitraum die größte Einwanderergruppe. Es folgen Polen und Rumänien mit jeweils circa 600.000 Nettozuwanderern. Mit Bulgarien, Italien, Kroatien und Ungarn finden sich vier weitere EU-Länder unter den Top 10 wieder.
Neben Syrien sind mit Irak und Afghanistan zwei weitere Länder vertreten, die von massiver politischer Instabilität geprägt waren. Die Zuwanderung aus diesen Ländern ist damit vorwiegend Folge historischer Zufälle und nicht auf eine aktive deutsche Einwanderungspolitik zurückzuführen.
Ähnliches lässt sich auch für den längeren Zeitraum zurück bis zur Widervereinigung konstatieren. Der Fall des Eisernen Vorhangs spiegelt sich deutlich in der deutschen Nettozuwanderungsstatistik wider.
Über den Zeitraum von 1991 bis 2019 stellen Zuwanderer aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion und des Warschauer Pakts mit Abstand die größte Gruppe dar. Maßgeblichen Anteil daran haben deutsche Spätaussiedler.
Jeder zweite Zuwanderer aus der EU
Dass in den vergangenen Jahrzehnten neben Zufällen des Laufes der Geschichte vor allem die Zugehörigkeit zur EU die Zuwanderung nach Deutschland beeinflusste, verdeutlicht die Betrachtung des Anteils der Zuwanderer aus EU-Staaten an der Gesamtzahl der Migranten seit 1991.
Dabei stieg der Anteil der Zuwanderer aus EU-Staaten seit der ersten Osterweiterung 2004 deutlich an. Durchschnittlich stammte etwa jeder zweite Zuwanderer der vergangen 15 Jahre aus einem anderen EU-Land. Der deutliche Rückgang im Jahr 2015 ist nicht auf einen Rückgang der absoluten Zahlen aus EU-Staaten zurückzuführen, sondern auf die erhöhte Einwanderung aus dem nicht EU-Land Syrien.
Deutsche Migrationspolitik: Zufall und EU
Die beobachtete Nettozuwanderung der vergangenen 30 Jahre ist nur nachrangig das Ergebnis direkter deutscher Migrationspolitik. Maßgeblich waren hingegen einerseits historische Ereignisse in Drittstaaten und andererseits die EU-Politik, insbesondere in Form der EU-Erweiterung.
Die Anwerbung von Fachkräften auch aus dem Nicht-EU-Ausland ist erklärtes Ziel der Bundesregierung. Ihre Bemühungen sind allerdings bisher wenig vielversprechend, auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel im kürzlich in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz „ein Paradigmenwechsel in unserer Art, wie wir auf Fachkräfte auch außerhalb der Europäischen Union zugehen wollen“ sieht. Denn die fortbestehenden und neu eingeführten Voraussetzungen im Gesetz stellen weiterhin beträchtliche Hürden für einwanderungswillige Nicht-EU-Ausländer dar, angesichts des in der Regel geforderten Nachweises der Gleichwertigkeit des Berufsabschlusses auch für Fachkräfte.
Wenn die Bundesregierung es mit zusätzlicher Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten ernst meint, sollte sie die für Personen aus Drittstaaten geltenden Zuwanderungsregeln stärker an die Regelungen für EU-Bürger angleichen. So könnte sie auch den relativen Einfluss historischer Zufälle auf die Zuwanderung aus Drittstaaten reduzieren.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.