Vorbild UK und Dänemark: Warum bisher kein „Freedom-Day“ für Deutschland?

Vorbild UK und Dänemark: Warum bisher kein „Freedom-Day“ für Deutschland?

Neidisch schauen viele Deutsche zu unseren nördlichen und westlichen Nachbarn. Während in Dänemark und dem Vereinigten Königreich die meisten Corona-Beschränkungen aufgehoben wurden, gilt in vielen Lebensbereichen in Deutschland weiterhin: Maske tragen, Abstand halten.

Auch in Deutschland werden mit Verweis auf Dänemark und dem Vereinigten Königreich Rufe nach einem „Freedom-Day“ laut. Ein Blick auf die Daten zu Impfungen, Genesenen und Impfbereitschaft zeigt, dass sich die Deutschen im Vergleich zu Dänen und Briten in einer misslichen Situation befinden.

Die Lage in Deutschland

Derzeit sind 68,4 Prozent der Deutschen mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft. 65,4 Prozent der Deutschen sind vollständig geimpft. Es ist allerdings davon auszugehen, dass nicht alle Impfungen durch die offizielle Statistik erfasst werden. Das RKI schätzt, dass die Impfquote bezogen auf die erwachsene Bevölkerung um bis zu 5 Prozentpunkte höher liegt. Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ergibt sich eine Differenz von 4 Prozentpunkten. Die wahre Einmalimpfquote liegt daher korrigiert um die Untererfassung bei etwa 72,4 Prozent und die Quote der vollständig Geimpften bei circa 69,4 Prozent.

Als genesen gelten in Deutschland knapp 4,2 Millionen Menschen. Das entspricht 5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Dunkelziffer ist weitaus größer. So ermittelten Mainzer Forscher in einer großangelegten Studie, dass auf 10 wissentlich Infizierte 8 unwissentlich Infizierte kommen.

Ein Teil dieser Genesenen ist allerdings auch bereits geimpft. So kann die geschätzte Zahl der Genesenen nicht einfach mit der Zahl der Geimpften addiert werden, um eine Gesamtimmunisiertenquote zu erhalten. Um einen konsistenten Vergleich möglich zu machen, betrachten wir im Folgenden ausschließlich die Anzahl der offiziell Genesenen. Eine mögliche Doppelerfassung Genesener in der Impfquote, aber auch eine unbekannt hohe Dunkelziffer betreffen die Vergleichsländer Dänemark und das Vereinigte Königreich ebenso.

Impfland Dänemark

Insgesamt ergibt sich, dass 77 Prozent der Deutschen entweder mindestens erstgeimpft sind oder offiziell als genesen gelten. Auf 77 Prozent Immunisierte kommt auch Dänemark, allerdings schon allein durch die Impfquote. Diese liegt bei 76 Prozent vollständig Geimpfter und 77 Prozent mindestens Erstgeimpfter. Hinzukommen weitere 6 Prozent der Dänen, die bereits eine Infektion überstanden haben. Insgesamt ergibt sich eine Immunitätsquote von 83 Prozent.

Großbritannien: Land der Genesenen

Übertroffen wird diese Immunitätsquote von Großbritannien, mit 85 Prozent. Allerdings ist diese hohe Quote nicht vornehmlich auf eine hohe Impfquote zurückzuführen. Die Impfquote liegt auf fast identischem Niveau mit der korrigierten deutschen Quote. So sind ebenso wie in Deutschland 72 Prozent der Briten mindestens erstgeimpft. Die höhere Gesamtimmunität im Vergleich zu Deutschland ist vor allem auf einen höheren Anteil Genesener zurückzuführen. Diesen „Erfolg“ hat Großbritannien teuer erkauft. Hinter den hohen Genesenenzahlen steht eine fast doppelt so hohe Sterbequote wie in Deutschland.

Dennoch ist Großbritannien nun in einer deutlich anderen Ausgangslage. Zwischen der geschätzten Immunitätsquote Deutschlands von 77 Prozent und der Großbritanniens von 85 Prozent liegen 8 Prozentpunkte Unterschied. Dass wenige Prozentpunkte einen Unterschied machen können, betont etwa der Virologe Christian Drosten. Er argumentiert, dass nicht die Anzahl der Immunisierten, sondern der Anteil der Nicht-Immunisierten entscheidend ist. Ausgehend von unserer Überschlagsrechnung sind in Großbritannien 15 Prozent der Bevölkerung noch nicht immun. In Deutschland sind es dagegen 23 Prozent, ein Unterschied von gut 46 Prozent.

Impfmuffel in Deutschland und UK

Ein Blick auf die Impfbereitschaft in der Bevölkerung zeigt, dass Großbritannien und Deutschland eine relativ ähnliche Ausgangssituation haben. In beiden Ländern ist der Anteil der Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, relativ hoch. So gaben im Oktober 2021 gut 24 Prozent der erwachsenen Deutschen und knapp 22 Prozent der Britten an, sich nicht impfen lassen zu wollen, während in Dänemark nur 16,4 Prozent der Befragten eine Impfung ablehnten. Möglicherweise kann der relativ hohe Wert in Großbritannien durch die hohe Anzahl Genesener erklärt werden, die auf eine Impfung verzichten wollen, da sie bereits immun sind. Der Anteil der Nicht-Geimpften, aber Willigen oder Unsicheren ist in allen drei Ländern etwa gleich groß.

Nichts tun keine Alternative: Deutschland am Scheideweg

In Dänemark erlaubt eine hohe Impfbereitschaft und eine damit einhergehend hohe Impfquote die Rücknahme weitreichender Freiheitseinschränkungen. In Großbritannien wird die relativ geringe Impfbereitschaft und die damit verbundene geringe Impfquote durch eine große Anzahl Genesener ausgeglichen. Hier zeigt sich das deutsche Dilemma: Deutschland hat inzwischen eine ähnlich hohe Impfquote wie Großbritannien, allerdings sind deutlich weniger Menschen durch eine Infektion immunisiert.

Unabhängig davon, ob in Großbritannien und Dänemark die Immunität in der Bevölkerung schon hoch genug ist, um die Corona-Maßnahmen dauerhaft zu beenden, zeigen beide Länder, dass es für Deutschland zwei Möglichkeiten gibt, um zügig zur Normalität zurückzukehren.

Entweder kommt es zu einer ausgeprägteren „natürlichen“ Durchseuchung ähnlich wie in Großbritannien oder die Impfquote steigt nach dem Vorbild Dänemarks. Ein „Weiter so“ mit Maßnahmen, die der „natürlichen“ Durchseuchung entgegenwirken, und einer stagnierenden Impfquote würde dazu führen, dass ein deutscher „Freedom-Day“ in weite Ferne rückt.

Erschienen bei: IREF. 

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