Es ist vollbracht! Der erste Impfstoff wurde nun auch in der gesamten EU zugelassen. Der Corona-Impfstoff wurde nicht nur in Rekordzeit entwickelt und getestet, sondern auch zugelassen. In der Regel dauert die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs in der Pharmaindustrie mehr als 13 Jahre, davon entfallen im Durchschnitt 1,5 Jahre auf das Zulassungsverfahren. Angesichts der deutlich schnelleren Zulassung des Corona-Impfstoffs stellt sich die Frage, warum eine schnellere Zulassung nicht auch in normalen Zeiten die Regel ist?
Warum diesmal so schnell?
Pharmaunternehmen stimmen sich bei der Entwicklung und Zulassung von Medikamenten eng mit der jeweiligen Zulassungsbehörde ab. Potentielle Verzögerungen, die auf das Gebaren von Zulassungsbehörden zurückzuführen sind, entstehen daher nicht ausschließlich erst während des eigentlichen Zulassungsverfahrens.
Die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) hat für die beschleunigte Entwicklung der Corona-Impfstoffe vor allem eigene Fristen in diesem Prozess verkürzt. Für die Abstimmung mit den Unternehmen bezüglich der Durchführung von Studien veranschlagt die EMA normalerweise bis zu 70 Tage. Die Frist für diese Beratungen wurde für die Corona-Impfstoffe auf maximal 20 Tage gekürzt. Die Abstimmung der Behörde mit den Unternehmen bezüglich der Verträglichkeit bei Kindern wird normalerweise auf bis zu 120 Tage veranschlagt. Für Corona-Impfstoffe wurde dies auf unter 20 Tage verkürzt.
Sobald die notwendigen Phase-3 Studien abgeschlossen sind, können Impfstoffentwickler eine Zulassung beantragen. Über den Antrag wird bei der EMA innerhalb von 210 Werktagen beschieden. Auch hier hat die EMA angesetzt, um das Verfahren zu beschleunigen. Sie hat die Frist auf maximal 150 Werktage verkürzt.
Um das Zulassungsverfahren weiter zu beschleunigen, können die Unternehmen ihre Zulassung mit Hilfe des rollierenden Verfahrens erreichen. Dabei werden die Testdaten in regelmäßigen Abständen bereits während der Durchführung der Studien an die EMA gemeldet und nicht erst mit einem vollständigen Zulassungsantrag auf einen Schlag der EMA präsentiert. Diesen Weg schlugen BioNTech und Pfizer ein.
Die eingereichten Unterlagen und Daten werden vom Ausschuss für Human-Arzneimittel geprüft. Dieser besteht aus Experten der nationalen Zulassungsbehörden, wie dem deutschen Paul-Ehrlich-Institut. Im Ausschuss werden zwei federführende Gutachter aus dem Kreis der jeweiligen nationalen Zulassungsbehörden bestimmt. Diese erstellen Gutachten, auf deren Grundlage der Ausschuss seine Empfehlung zur Zulassung abgibt. Die formale Zulassung wird allerdings nicht durch die EMA erteilt. Diese gibt nur eine Empfehlung ab. Die Zulassung selbst wird durch die EU-Kommission erteilt.
Die EMA betont, das Zulassungsverfahren für den Impfstoff von BioNTech und Pfizer sei schneller gewesen, aber nicht unsicherer.
Verzögerung kostet nicht nur in der Pandemie Menschenleben
Während einer Pandemie sind die Kosten, welche mit einer Verzögerung einer Zulassung eines Impfstoffes einhergehen, offensichtlich. Jeden Tag infizieren sich Menschen. Auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schäden sind mit jedem weiteren Tag, an dem die Pandemie wütet, beträchtlich.
Ernste Konsequenzen hat allerdings nicht nur eine verzögerte Zulassung von Corona-Impfstoffen, sondern auch Verzögerungen bei der Zulassung von Wirkstoffen für andere Krankheiten. Manche Patienten erhalten potentiell lebensrettende Medikamente zu spät oder gar nicht. In der Regel gibt es für diese Opfer kein tägliches ZDF-Spezial und die mediale Berichterstattung hält sich insgesamt in Grenzen.
Zulassungsbehörden im Wartemodus
Während die Opfer einer Verzögerung nicht im Fokus der öffentlichen Debatte stehen, werden Fehler der Zulassungsbehörden bei fälschlicherweise zugelassenen Medikamenten öffentlichkeitswirksam diskutiert. Zulassungsbehörden haben deshalb einen Anreiz, besonders eingehend zu prüfen und sich bei Genehmigungen Zeit zu lassen. Kommt es zu Schwierigkeiten mit einem zugelassenen Präparat, können die Behörden dann immerhin darauf verweisen, es lange geprüft zu haben.
Die Zulassungsbehörden habenbeim Corona-Impfstoff demonstriert, dass schnellere sichere Zulassungsverfahren möglich sind. Möglicherweise hat auch der öffentliche Druck angesichts hoher Todeszahlen durch Corona dazu beigetragen, dass die EMA ihre Entscheidungsprozesse beschleunigte.
Die EMA betonte mehrfach, wie umfangreich die zu prüfenden Unterlagen und Daten seien und dass man „rund um die Uhr“ arbeite. Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts Klaus Cichutek weist drauf hin, dass bis zu 100 Experten EU-weit mit der Bearbeitung eines Antrags beschäftigt seien. Ob dies angesichts der Dringlichkeit tatsächlich ein angemessen hoher Einsatz von Personalressourcen ist, ist fraglich. Außer Frage steht, dass ein höherer Ressourceneinsatz Zulassungsverfahren beschleunigen könnte.
Zwei Vorschläge zur Beschleunigung
Dem Anreiz der Zulassungsbehörden, Zulassungen eher zu spät als zu früh zu erteilen, ist nur schwer zu begegnen. Dennoch können zwei Maßnahmen zur Beschleunigung beitragen und Patienten, die am meisten unter der Verzögerung leiden, einen schnelleren Zugang zu neuen Medikamenten ermöglichen.
Erstens könnten die großen Zulassungsbehörden der Industrieländer, etwa der EU, der USA, Kanada, Großbritannien, der Schweiz und Japan ihre Zulassungen umgehend gegenseitig anerkennen. Dies ist für europäische Staaten nichts Neues. Zulassungen, die nicht durch das zentrale Verfahren der EMA in Europa erfolgen, sondern durch nationale Zulassungsbehörden, können in ganz Europa anerkannt werden.
Schon heute müssen die Pharmafirmen sehr ähnliche Anträge und fast die gleichen Daten bei den jeweiligen Zulassungsbehörden einreichen. Die amerikanische FDA und die europäische EMA haben beispielsweise ein gemeinsames Dokument publiziert, in dem sie erklären, welche gleichen Textteile in welcher Reihenfolge in den erforderlichen Unterlagen für die Zulassung für Kinder zu erscheinen haben.
Müsste nicht jeder Wirkstoff bei allen Zulassungsbehörden zugelassen werden und würde von anderen anerkannt, würden erhebliche Personalkapazitäten bei den Behörden, aber auch bei den Unternehmen frei werden.
Zweitens suggeriert der Zulassungsprozess, das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Medikamentes sei für jeden Patienten gleich. Dies ist allerdings, wie das Beispiel Corona zeigt, nicht der Fall. Manche Menschen sind höheren Risiken durch eine Krankheit ausgesetzt und wären bereit, bei einer Impfung oder Behandlung höhere Risiken einzugehen. Medikamente sollten daher leichter als bisher bereits vor der offiziellen Zulassung Patienten verfügbar gemacht werden.
Schnelle Zulassungen möglich
Die Zulassung der ersten Corona-Impfstoffe hat gezeigt, dass sichere und schnelle Zulassungen möglich sind. Da Zulassungsbehörden allerdings einen systematischen Anreiz haben, Zulassungen zu verzögern, sollten zum einen Medikamente bereits vor der Zulassung für ausgewählte Risikogruppen verfügbar sein und zum anderen ihre Zulassungen von Zulassungsbehörden gegenseitig anerkannt werden. Neue Präparate wären dann in allen Regionen so schnell verfügbar wie in der Region mit der schnellsten Zulassungsbehörde.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.