Die Corona-Krise und die in Reaktion darauf ergriffenen politischen Maßnahmen betrafen und betreffen Menschen unterschiedlich stark. Während die einen einigermaßen geregelt ihrer Arbeit nachgehen können, haben andere mit massiven Einschränkungen ihrer Arbeitsmöglichkeiten zu kämpfen. Angehörige einiger Berufsgruppen können ihre Einkommensverluste durch Schwarzarbeit etwas abmildern, wie Ökonom Lars Feld in einem Interview anführt. In anderen Branchen werden allerdings gerade Personen, die für gewöhnlich zumindest einen Teil ihres Einkommens in der Schattenwirtschaft erzielen, doppelt hart getroffen. Ihnen entgehen nicht nur Einnahmen aus legalen Aktivitäten, die möglicherweise durch Kurzarbeitergeld oder Soforthilfen teilweise ausgeglichen werden. Auch Einnahmen aus inoffiziellen Tätigkeiten bleiben aus. Das trifft beispielsweise relativ häufig auf Angestellte in der Gastronomie zu und weniger häufig auf Angestellte in der Bauwirtschaft, wo Schwarzarbeit ebenfalls weit verbreitet ist.
Längere Frist: Schattenwirtschaft auf dem Rückzug
Studien, die den Umfang der Schattenwirtschaft ermitteln, nutzen gewöhnlich anonyme Umfragen oder die Menge des umlaufenden Bargelds als Basis für Schätzungen. Auch der Stromverbrauch wird gelegentlich als Indikator für schattenwirtschaftliche Aktivitäten genutzt. Besonders prominent sind die die Schätzungen des Linzer Ökonoms Friedrich Schneider.
Seinen Schätzungen zufolge war der Höhepunkt der schattenwirtschaftlichen Aktivitäten in Deutschland im Jahr 2003 mit 16,7 Prozent des BIP erreicht. Berücksichtigt werden hier alle Waren und Dienstleistungen, die Grundsätzlich legal sind, aber ohne die Erfüllung von gesetzlichen Auflagen angeboten werden. Dies können regulatorische Bestimmungen sein, wie Brandschutz und Arbeitsschutz, vor allem werden aber keine Steuern- und Sozialabgaben abgeführt.
Seit 2003 ist das Ausmaß der Schattenwirtschaft relativ zum BIP gesunken. Dies ist vor allem auf die gute wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen, welche mit attraktiveren legalen Alternativen für die Einkommensgewinnung einhergeht. So kam es 2009, dem letzten Jahr mit einem BIP-Rückgang, zu einem leichten Anstieg. Im Jahr 2019 lag der Anteil der Schattenwirtschaft bei unter 10 Prozent und Schneider prognostizierte noch im Februar 2020 einen weiteren Rückgang der Schattenwirtschaft für das Jahr 2020. Diese Schätzung korrigierte Schneider angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage durch Corona auf 10,5 Prozent nach oben.
Brauchen Sie eine Rechnung?
An der Supermarktkasse wird fast immer gefragt, ob man den Beleg für den Einkauf mitnehmen möchte. Eine leicht abgewandelte Form der Frage hört man dagegen so gut wie nie im Supermarkt, aber regelmäßig beim Häuslebauen: „Brauchen Sie eine Rechnung?“ Diese Frage kann in den meisten Fällen als ein Angebot für Schwarzarbeit interpretiert werden. Die anekdotische Evidenz, dass in Supermärkten selten Waren und Dienstleistungen ohne die Abführung von Steuern und Abgaben angeboten werden, aber regelmäßig in der Baubranche, zeigt sich auch in verschiedenen Schätzungen des Ausmaßes der Schattenwirtschaft.
Eine Schätzung von Friedrich Schneider für Jahre 2012 bis 2016 gibt Hinweise darauf, in welchen Sektoren die Schattenwirtschaft besonders weit verbreitet ist. Im Baugewerbe betrug der Wert im Durchschnitt der Jahre 2012 bis 2016 gut 129 Milliarden Euro. Für den Bereich Hotels, Gaststätten und Catering lag er bei durchschnittlich 57,7 Milliarden Euro, für die Unterhaltungs- und Vergnügungbranche bei 44,2 Milliarden Euro. Die restlichen 108,7 Milliarden entfielen auf andere Gewerbe- und Industriebetriebe sowie haushaltsnahe Dienstleistungen.
Corona: Branchen unterschiedlich betroffen
Von der aktuellen Rezession sind ebenfalls nicht alle Branchen gleichermaßen betroffen. So ist das Baugewerbe nur relativ schwach betroffen, während die Gastronomie stark leidet. Einer Hochrechnung des Ifo-Instituts zufolge meldeten 37 Prozent der Unternehmen im Bauhauptgewerbe Kurzarbeit an. Im Einzelhandel waren es 62 Prozent und in der Gastronomie 99 Prozent der Unternehmen. Die Anmeldung zur Kurzarbeit bedeutet zwar nicht, dass die Mitarbeiter in den Betrieben auch tatsächlich kurzarbeiten, ist aber ein Anhaltspunkt für die Betroffenheit der Branchen.
Corona: Langfristige Folgen für Schattenwirtschaft?
Insbesondere die Angestellten und Unternehmer in der Gastronomie spüren die Krise also doppelt. Zum einen gingen die in der Gastronomie weitverbreiteten inoffiziellen Einnahmen deutlich zurück. Zum anderen müssen sie deutliche Rückgänge ihrer offiziellen Einkommen hinnehmen.
Dass der in den offiziellen Statistiken ausgewiesene Lohnrückgang das Leid derer untertreibt, die ihr Einkommen ganz oder teilweise aus Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft erzielen, ist nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist, dass die Bauindustrie in der coronainduzierten Rezession schwach und die Gastronomie stark betroffen ist. Üblicherweise leiden das Baugewerbe und andere Industriebereiche in Zeiten von Rezessionen besonders stark, während die Gastronomie und andere Dienstleistungen relativ verschont bleiben. Dieses Mal ist es bezüglich des Baugewerbes und der Gastronomie umgekehrt.
Der für 2020 erwartete Anstieg der Schattenwirtschaft relativ zum BIP täuscht darüber hinweg, dass aufgrund der Besonderheiten der aktuellen Rezession insbesondere in der Gastronomie die inoffiziellen Einkommen stärker gesunken sind als die offiziellen Einkommen, die zum Teil durch Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld weiter fließen.
Derart doppelt Betroffene sehnen das Ende der Pandemie gewiss besonders stark herbei. Das muss jedoch nicht heißen, dass sie zur Normalität, wie wir sie vor der Pandemie kannten, zurückkehren werden. Denn die im Zuge der Pandemie gemachten Erfahrungen wirken potentiell nach. So ist es möglich, dass Angestellte der Gastronomiebranche den Rücken kehren werden, worauf Arbeitgeber der Branche wiederrum mit einer attraktiveren offiziellen Bezahlung reagieren könnten. So könnte der Corona-Schock einen Beitrag zum Rückgang der Schattenwirtschaft leisten.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.