Gesundheitsminister Jens Spahn fürchtet eine zu große Abwanderung deutscher Ärzte ins Ausland. Jens Spahn gab Anfang des Jahres der Schweizer Zeitung „Blick am Sonntag“ ein Interview, in dem er kundtat, dass er deutsche Ärzte gerne aus der Schweiz zurück hätte. Er regte an, die Abwerbung von Fachleuten innerhalb der EU, darunter Ärzte, „neu zu regeln“, weil diese Fachleute in Deutschland fehlen würden. Doch ist die Auswanderung deutscher Ärzte ins Ausland tatsächlich ein großes Problem? Die Wanderungszahlen lassen Zweifel an Spahns Diagnose aufkommen. Zudem gilt: Wäre die Diagnose des Gesundheitsministers zutreffend, sollte er sich um eine höhere Attraktivität des deutschen Gesundheitssystems bemühen, statt regulatorisch Einfluss auf Auswanderungen von Ärzten nehmen zu wollen.
Die Schweiz ist beliebt
Tatsächlich steht die Schweiz unter auswanderwilligen deutschen Ärzten hoch im Kurs. Gut 43 Prozent der im Jahr 2018 ausgewanderten deutschen Ärzte entschieden sich für die Schweiz. In andere europäische Länder gingen 28 und nach Nord- und Südamerika 11 Prozent der ausgewanderten Ärzte.
Ärzte wandern nicht übermäßig häufig aus
Bei der Bewertung der Auswanderungszahlen, auch in die Schweiz, scheint der Gesundheitsminister allerdings etwas über das Ziel hinauszuschießen. Im Jahr 2018 haben etwa 1.100 deutsche Ärzte Deutschland den Rücken gekehrt, das entspricht 0,32 Prozent aller in Deutschland tätigen Ärzte mit deutscher Staatsbürgerschaft – auf den ersten Blick keine sonderlich hohe Quote.
Um die Auswanderaktivität von deutschen Ärzten einordnen zu können, lohnt ein Blick auf die Auswanderquote aller deutschen Staatsbürger. Sie war 2018 mit 0,36 Prozent ein wenig höher.
Vor 2016 lag die Auswanderquote deutscher Ärzte über der der gesamten deutschen Bevölkerung. Seit 2016 nutzt das Statistische Bundesamt eine neue Zählmethodik. Zuvor wurde die Auswanderung der allgemeinen deutschen Bevölkerung unterschätzt. Angesichts der relativ hohen internationalen Mobilität gut ausgebildeter Fachkräfte – zu denen Ärzte gewiss zu zählen sind – deuten allerdings auch Auswanderungsquoten von 0,7 Prozent jährlich nicht auf eine Abwanderung in Scharen hin. Zudem war die Auswanderungsquote deutscher Ärzte seit 2011 rückläufig.
Ärzte: Einwanderungsrekord
Auch die relativ geringe Auswanderaktivität deutscher Ärzte könnte auf Dauer jedoch dazu beitragen, dass in Deutschland über die Zeit weniger Ärzte tätig sind und es zu einem „Ärztemangel“ kommt, etwa weil noch weniger Ärzte einwandern.
Doch auch hier liefern die Zahlen keinen Grund zur Besorgnis. Im Gegenteil: Im Jahr 2018 praktizierten mehr als 48.000 ausländische Ärzte in der Bundesrepublik. Ein neuer Rekord. Im Vergleich mit dem Jahr 1995 hat sich die Anzahl ausländischer Ärzte mehr als vervierfacht und ihr Anteil an allen Ärzten lag bei 12,4 Prozent.
Den 1.100 ausgewanderten Ärzten im Jahr 2018 standen über 4.500 neu eingewanderte Ärzte gegenüber. Seit 10 Jahren ist der Einwanderungssaldo für Ärzte positiv. Dass der Einwanderungssaldo seit Jahren deutlich positiv ausfällt, liegt vor allem an einem starken Anstieg der Ärzteeinwanderung ab dem Jahr 2011 und der parallel gesunkenen Auswanderungsaktivität.
Unter den Ursprungsländern war die Nettozuwanderung berufstätiger Ärzte aus Syrien 2018 am größten. Insgesamt lebten 2018 in Deutschland 4.156 syrische Ärzte, von denen 94 Prozent auch ärztlich tätig waren. Am zweithäufigsten wanderten 2018 Ärzte aus Rumänien und der Ukraine nach Deutschland ein, gefolgt von Ärzten aus Ägypten, der Türkei und Russland.
Chefärzte eher zum dauerhaften Auswandern geneigt
In einer Studie aus dem Jahr 2017 wurden deutsche Ärzte nach ihrer Absicht gefragt, zeitweise oder dauerhaft im Ausland zu arbeiten. Insgesamt zeigt sich, dass Ärzte, die über eine Auswanderung nachdenken, mehrheitlich nur für einige Monate oder Jahre auswandern wollen. So konnten sich gut 8 Prozent aller Ärzte vorstellen, für einige Monate im Ausland zu arbeiten, gut 13,5 Prozent für einige Jahre. Nur gut 7,9 Prozent der befragten Ärzte konnten sich vorstellen, Deutschland für immer zu verlassen.
Allerdings gab es Unterschiede innerhalb der Ärzteschaft. So gaben mehr als 15 Prozent der Chefärzte an sich vorstellen zu können, dauerhaft im Ausland zu leben. Der Anteil bei Oberärzten lag bei noch gut 8 Prozent. Dies könnte darauf hindeuten, dass besonders hochqualifizierte Ärzte geneigt sind, Deutschland dauerhaft den Rücken zu kehren.
Um dem entgegen zu wirken, sollte sich Gesundheitsminister Spahn Gedanken machen, wie das deutsche Gesundheitssystem für Ärzte – gleich welcher Herkunft – attraktiver werden könnte, ohne dabei den Patienten zu schaden, statt mit dem Gedanken zu spielen, auf die grenzüberschreitende Mobilität aller in Deutschland tätiger Ärzte regulatorisch Einfluss zu nehmen. Auswandernde Ärzte, ob nun vorrübergehend oder dauerhaft, werden durch höhere Gehälter, bessere Arbeitsbedingungen, neue Berufserfahrungen sowie Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten motiviert. Hier könnte angesetzt werden, indem etwa hierarchische Strukturen innerhalb der Ärzteschafft, Budgetierung von Leistungen und die hohe Arbeitsbelastungen auf den Prüfstand gestellt werden, damit Deutschland gerade für die besten Ärzte an Attraktivität gewinnt.
Falsche Diagnose führt zu falscher Therapie
Bundesgesundheitsminister Spahn unterläuft eine Fehldiagnose, wenn er einen drohenden Ärztemangel in Deutschland auf die Auswanderung deutscher Ärzte zurückführt. Ein Blick auf die Daten zeigt überzeugend, dass deutsche Ärzte nicht in Scharen das Land verlassen. Tatsächlich sind die Auswanderungsraten bei Ärzten seit Jahren rückläufig. Gleichzeitig hat die Anzahl ausländischer Ärzte, die in Deutschland praktizieren, neue Höchststände erreicht. Anstatt zu erwägen, die Mobilität von Ärzten regulatorisch zu beeinflussen, sollten Anstrengungen unternommen werden, die Attraktivität Deutschlands als Arbeitsplatzstandort auch für die qualifiziertesten Ärzte zu erhöhen.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.