Die Einnahmen des Staates im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt haben sich von 32 % im Jahr 1950 auf 43 % im Jahr 2016 erhöht. Fast der gesamte Anstieg ist auf die Einnahmen der Sozialversicherungen zurückzuführen. Dadurch ist die Belastung von Arbeit durch Steuern und Abgaben in Deutschland heute schon höher als in nahezu allen übrigen OECD-Ländern. Nimmt die demographische Entwicklung wie erwartet ihren Lauf, wird der Anteil der Einnahmen der Sozialversicherungen am Bruttoinlandsprodukt weiter steigen. Eine Reduzierung der verpflichtenden Rentenversicherung auf eine Mindestversorgung im Alter wäre ein Weg, um die Altersvorsorge vom Arbeitsmarkt zu entkoppeln, reguläre Tätigkeiten attraktiver zu machen und mehr Wahlfreiheit bei der Altersvorsorge zu ermöglichen.
Sozialversicherung: 1950 noch 9 % des BIP, heute 19 %, 2040 gar 23,5 %
Der Anteil der Einnahmen der Sozialversicherungen am Bruttoinlandsprodukt hat sich seit 1950 von 9 % auf 19 % mehr als verdoppelt. Die Einnahmen aus Beiträgen für die Rentenversicherung in Höhe von 215 Milliarden Euro machten dabei im Jahre 2016 mehr als ein Drittel der Gesamteinnahmen der Sozialversicherungen aus. Hinzu kommt ein Zuschuss des Bundes in Höhe von 41 Milliarden Euro, mit dem sich der Anteil der Einnahmen der Rentenversicherung an den gesamten Sozialversicherungseinnahmen auf über 42 % summiert.
Seit 2010 sank der Anteil der Einnahmen der Sozialversicherungen an den Gesamteinnahmen des Staates, weil das hohe Beschäftigungsniveau für hohe Steuereinnahmen sorgt und der Beitragssatz der Rentenversicherung aufgrund der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt schrittweise von 19,6 % auf 18,7 % gesenkt wurde.
Das Bundesfinanzministerium prognostiziert, dass durch Erhöhungen der Beitragssätze die Sozialversicherungsbeiträge bis 2040 etwa 23,5 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen werden. Dadurch würden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse weiter an Attraktivität einbüßen und (teilweise) sozialversicherungsbefreite Tätigkeiten in abhängiger Beschäftigung oder Selbständigkeit relativ attraktiver werden.
Rentenversicherung: Pflicht auf Mindestsicherung beschränken
Eine Linderung bietet die Beschränkung der Einzahlungspflicht für jedermann ― unabhängig von der Erwerbstätigkeit ― einer verpflichtenden Rentenversicherung auf ein Minimum, welches sicherstellt, dass Menschen im Alter nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Eine derartige Mindestsicherung könnte im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung oder im Rahmen einer privaten Altersvorsorge erfolgen. Die Vorsorge über das Existenzminimum hinaus läge von der Natur der Mindestsicherung unabhängig in der Verantwortung jedes einzelnen.
Alle Erwerbstätigen hätten die Möglichkeit, nach ihren Bedürfnissen fürs Alter vorzusorgen. Wäre eine verpflichtende Rente auf die Grundsicherung beschränkt, könnten Menschen freier entscheiden, was zu ihrem Lebensentwurf passt: Ein selbstgenutztes Eigenheim, eine Lebensversicherung, ein Aktienportfolio, Staatsanleihen oder eine Mischung aus diesen Anlageformen.
Würde der Beitragssatz für die gesetzliche Rente deutlich sinken, wäre auch der Anreiz für Schwarzarbeit schwächer, wenn die Beitragszahler die jetzige gesetzliche Rentenversicherung zumindest teilweise als Steuer und nicht Altersvorsorge wahrnehmen, für die sie sich auch entschieden hätten, wenn sie eine Wahl gehabt hätten. Die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit hingegen würde attraktiver werden.
Beschränkung auf Mindestsicherung reduziert Ungleichheit
Eine derartige Rentenreform würde ferner die Vermögensungleichheit in Deutschland senken. Derzeit ist ein großer Teil der Vermögen abhängig Beschäftigter in Form zukünftiger Zahlungsansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung gebunden. Diese Form des Vermögens kann jedoch nicht als Eigenkapital beim Wohnungskauf, in finanziellen Notlagen oder als Sicherheit für einen Kredit eingesetzt werden.
Der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, weist gerne und zutreffend darauf hin, dass “… Rentenanwartschaften keine klassischen Vermögen sind.” Deshalb sollten Menschen nicht dazu gezwungen werden, mehr Vermögen in einer verpflichtenden Altersvorsorge zu binden, als für die Mindestsicherung im Alter nötig ist.
Finanzierung: Langfristig per Umlage oder kapitalgedeckt…
Derzeit werden die Renten der aktuellen Rentnergeneration durch die laufenden Beiträge der Beitragszahler finanziert. Eine auf die Mindestsicherung im Alter begrenzte Rentenversicherung könnte weiterhin mit einem Umlagesystem finanziert werden und dabei alle Personen unabhängig von ihrer Erwerbstätigkeit einschließen. Die Mindestsicherung könnte auch Kapitalgedeckt sein und den Versicherten eine Wahl zwischen privaten Anbietern geben, ähnlich wie im Rahmen der Riester-Rente. Problematisch wäre lediglich die Umstellung auf die Mindestsicherung, da die bestehenden Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung weiter finanziert werden müssten.
… und in der Übergangszeit via Steuern
Für den Übergang von der jetzigen gesetzlichen Rente zu einer auf die Mindestsicherung im Alter reduzierten verpflichtenden Rentenversicherung müsste die Finanzierungsstruktur angepasst werden, damit aktuelle Erwerbstätige nicht die Zahlungen an derzeitige Rentner finanzieren müssen, während sie deshalb selbst nur beschränkt privat vorsorgen können.
Im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung geht der Staat fortlaufend Zahlungsversprechen an derzeitige Beitragszahler ein, die durch die Beiträge zukünftiger Beitragszahler zu decken sein werden. Wer Zahlungsansprüche gegen den Staat hält, wird dadurch offenbar. Wer die den Ansprüchen gegenüberstehenden Verpflichtungen in der Zukunft übernehmen wird, ist hingegen unsicher. Es ist nicht ersichtlich, warum gerade die nachfolgenden Generationen abhängig Beschäftigter für Versprechen des Staates geradestehen sollen, die vom Staat an frühere Generationen von abhängig Beschäftigten gemacht wurden.
Die Finanzierung der Auszahlung von bestehenden Rentenansprüchen könnte stattdessen in Form von langlaufenden Staatsanleihen erfolgen. Dadurch würde die Finanzierung der bestehenden Rentenansprüche auf alle heutigen Steuerzahler und zukünftige Generationen von Steuerzahlern unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus verteilt werden.
Wünschenswerter Nebeneffekt: Die derzeit versteckten Staatsschulden durch Zahlungsversprechen des Staates im Rahmen der Rentenversicherung würden zu transparenten expliziten Staatsschulden werden.
Mehr Verantwortung und mehr Wahlfreiheit
Die derzeitige Ausgestaltung der Rentenversicherung reduziert die Attraktivität sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse für Arbeitgeber und Arbeitnehmer und schränkt die Flexibilität bei der Altersvorsorge letzterer ein. Außerdem macht sie vielen abhängig Beschäftigten den Zugriff auf den größten Teil ihres Vermögens unmöglich.
Die Reduzierung der verpflichtenden Rentenversicherung auf eine Mindestsicherung im Alter für alle Personen würde diese Probleme deutlich reduzieren – unabhängig davon, ob sie durch Umlagen oder kapitalgedeckt finanziert würde. Die Mindestsicherung würde Trittbrettfahren durch Nicht-Vorsorge effektiv verhindern, reguläre Erwerbstätigkeiten attraktiver machen, Menschen mehr Gestaltungsspielraum bei ihrer Altersvorsorge geben und abhängig Beschäftigten erlauben, über einen Großteil ihres Vermögens frei zu verfügen.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.