„Kinder kriegen die Leute immer“, soll Bundeskanzler Konrad Adenauer prognostiziert haben. Während seiner Kanzlerschaft sollte Adenauer recht behalten, doch seit den 1970er gingen die Geburtenzahlen in Deutschland deutlich zurück. Der Rückgang führt langfristig zu einer Überalterung der Bevölkerung, wenn Migration den Bevölkerungsschwund nicht ausgleicht. Vor allem die unter Adenauer eingeführte umlagefinanzierte gesetzliche Rente wird durch kleinere jüngere Generationen, die größere ältere Generationen finanzieren müssen, vor große Herausforderungen gestellt.
Zuletzt konnten wieder leicht steigende Geburtenzahlen registriert werden. Dieser Trend könnte sich Prognosen zu Folge auch in Zukunft fortsetzen.
Geburtenziffern: Achterbahnfahrt im Osten
Die Geburtenrate liegt seit den 1970er Jahren in Westdeutschland deutlich unter zwei. Bei zwei Kindern pro Frau folgt eine weitere Generation in gleicher Größe, wenn von Zu- und Abwanderung abgesehen wird. Werden weniger als zwei Kinder pro Frau geboren, schrumpft die Bevölkerung in der nächsten Generation.
Vor 1970 lag die Geburtenziffer in Ost- wie Westdeutschland deutlich über zwei. Innerhalb weniger Jahre sank die Geburtenziffer sowohl in der DDR als auch in der BRD stark ab. Doch während die Geburten in Westdeutschland auf dem niedrigen Niveau verweilten, stiegen die Geburtenzahlen in Ostdeutschland wieder etwas an und sanken ab 1980 Jahr für Jahr wieder.
Mit der Wiedervereinigung brachen die Geburtenziffern in Ostdeutschland auf weniger als ein Kind pro Frau ein. Ab Mitte der 1990er stiegen auch in Ostdeutschland die Zahlen wieder und seit der Mitte der 2000er Jahre sind die Unterschiede in den Geburtsstatistiken zwischen Ost und West kaum mehr sichtbar. Die Geburtenziffer liegt seit gut fünf Jahren wieder über anderthalb Kinder pro Frau.
Starker Rückgang in den letzten 200 Jahren
Historisch betrachtet waren die Geburtenziffern nach dem Zweiten Weltkrieg bereits niedrig. Auch der starke Rückgang in den 1970er Jahren relativiert sich bei einem Blick auf den sehr langen Zeitraum. Im 19. Jahrhundert lag die Geburtenrate bei ca. fünf Kinder pro Frau. Zur Jahrhundertwende bis zum ersten Weltkrieg folgt ein beispielloser Absturz der Geburtenziffern auf gut zwei Kinder pro Frau. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in anderen Ländern beobachten.
Pille, Bildung, Kindersterblichkeit
Was sind die Gründe für den erheblichen Rückgang von über fünf Kinder auf unter zwei Kinder pro Frau innerhalb der letzten 200 Jahre? Wissenschaftler haben unterschiedliche Faktoren identifiziert, die die Geburtenrate beeinflussen und helfen, diesen Trend zu erklären.
Der in der Öffentlichkeit wahrscheinlich am stärksten wahrgenommene Faktor ist die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln: „Der Pillenknick“. Damit kann zwar ein Gutteil des großen Rückgangs in den 1970er Jahren erklärt werden, nicht aber die Entwicklung in der sehr langen Frist.
Das Einkommen spielt eine entscheidende Rolle. Familien in armen Gesellschaften haben auf der ganzen Welt mehr Nachwuchs als Familien in wohlhabenden Gesellschaften. Dieser Trend ist über alle Regionen, Religionen und Kulturen beobachtbar – ob in Deutschland, dem katholischen Polen oder dem islamischen Iran. Sobald Menschen extremer Armut entfliehen, sinken die Geburtenziffern. Hohe Geburtenraten sind die mittelbare Folge von Armut und mit ihr einhergehender hoher Kindersterblichkeit. Sobald mehr Kinder überleben, die Kindersterblichkeit also sinkt, sinken auch die Geburtenraten.
Begleitend haben sich in den letzten 200 Jahren die Bildungsmöglichkeiten für Frauen deutlich verbessert. Auch mit besserer Bildung für Frauen gehen niedrigere Geburtenraten einher. Nicht nur die Bildungssituation hat sich geändert. Die Opportunitätskosten des Kinderkriegens, also alternative Aktivitäten zur Familiengründung und Erweiterung, sind für Frauen gestiegen: Mit besserer Ausbildung gehen auch neue Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt einher. Eine bessere Ausbildung genießen auch die „Murkel“. Allerdings macht die bessere Ausbildung Kinder auch kostspieliger und mit höheren Kosten werden Familien kleiner.
Besonders hochentwickelte Länder: Mehr Kinder
Der negative Zusammenhang von Einkommen und Geburtenrate gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Wie in einer Untersuchung von Myrskylä et al (2009) dokumentiert, steigen ab einem bestimmten Punkt die Geburtenraten in hochentwickelten Ländern wieder. Die Forscher messen den Grad der Entwicklung mit Hilfe des Human Development Index (HDI), bei dem höhere Werte für einen höheren Entwicklungsstand sprechen. Nach ihren Forschungsergebnissen ist ab einem HDI-Wert von 0,9 wieder ein positiver Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsstand eines Landes und der Geburtenrate zu beobachten. Deutschland passt in der Hinsicht gut ins Bild. Der HDI-Wert für Deutschland liegt seit 2010 bei über 0,9, aktuell bei 0,939, und tatsächlich stiegen die Geburtenziffern in den letzten Jahren in Deutschland leicht.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Weltbank für Deutschland in den nächsten Jahrzehnten weiter steigende Geburtenziffern prognostiziert.
Vielleicht war Adenauers rheinischer Optimismus langfristig nicht ganz unbegründet. Die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rente wird der leichte Geburtenanstieg allerdings kaum lösen können.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.