Die Corona-Pandemie stellt die Gesundheitssysteme auf der ganzen Welt vor eine nie gekannte Belastungsprobe, auch das deutsche. In einigen Kommentaren ist zu lesen, das deutsche Gesundheitssystem sei schlecht vorbereitet, weil es „25 Jahre lang kaputt gespart“ und die Bettenkapazität reduziert worden sei. Wie gut ist das Gesundheitssystem hierzulande aufgestellt? Internationale Daten lassen darauf schließen, dass das deutsche System bei all seinen Schwächen vergleichsweise gut auf Pandemien vorbereitet ist.
Das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich
Ein erkenntnisreicher allgemeiner Vergleich von Gesundheitssystemen über Landesgrenzen hinweg ist schwierig. Zum einen unterscheiden sich die gesundheitspolitischen Strukturen mitunter erheblich. Zum anderen sind aktuelle vergleichende Untersuchungen rar. Der letzte große systematische Vergleich der Weltgesundheitsorganisation stammt aus dem Jahr 2000. Dieser Untersuchung nach war das französische Gesundheitssystem damals insgesamt das beste der Welt, gefolgt von Italien. Deutschland belegte laut WHO Platz 25 von 191 untersuchten Ländern.
Eine deutlich jüngere allgemeine Untersuchung des Commonwealth Fund, einer Stiftung die sich seit 1918 für eine bessere Gesundheitsversorgung einsetzt, stammt aus dem Jahr 2017. Untersucht wurden elf Industrieländer. Deutschland schafft es nur auf den 8. Platz der Untersuchung, die Länder anhand von 72 Indikatoren in den Bereichen Versorgungsprozess, Zugang zum Gesundheitssystem, Verwaltungseffizienz, Gerechtigkeit und Versorgungsergebnisse bewertete. An der Spitze stand Großbritannien gefolgt von Australien. Kanada, Frankreich und die USA belegten die hinteren Ränge.
Die jüngsten und umfangreichsten Ergebnisse liefert der Prosperity Index vom Londoner Think Tank Legatum Institute aus dem Jahr 2019. Dieser Index erfasst die Entwicklung des Wohlstands in 167 Ländern anhand von zwölf Kategorien wie Bildung, Umwelt, persönliche Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und auch Gesundheit. Im Bereich Gesundheit liegt Deutschland auf Platz 12 von 167 Ländern. Ganz vorne liegen Singapur und Japan. Italien belegt Platz 17.
Die bisher vorgestellten Untersuchungen bewerten Gesundheitssysteme im Allgemeinen. Das deutsche Gesundheitssystem schneidet dabei ähnlich gut ab wie Gesundheitssysteme anderer Industrieländer.
Pandemievorsorge in Deutschland
Ein zuverlässig funktionierendes Gesundheitssystem in „normalen Zeiten“ ist Grundvoraussetzung, um mit den Folgen einer Pandemie umgehen zu können. Wie gut Deutschland und andere Länder im Speziellen für eine Pandemie gerüstet sind, untersucht eine Studie von Wissenschaftlern der Johns Hopkins Universität aus dem Jahr 2019. Im Spitzenfeld und damit am besten vorbereitet sind vor allem westliche Industrieländer, mit Ausnahme Thailands, das den 3. Platz belegt. Deutschland belegt im Gesamtranking Platz 13 von 195.
Besonders interessant ist das Abschneiden Deutschlands in den Unterkategorien. Der Gesamtindex ist in sechs Teile gegliedert, in denen jeweils maximal 100 Punkte erreicht werden können.
Der erste Bereich umfasst die Prävention. Dort fließt ein, wie gut die Entstehung und Freisetzung von Krankheitserregern unterbunden wird, etwa durch Impfungen aber auch die Sicherheit von biomedizinischen Laboren.
Der zweite Bereich, der gemäß der Untersuchung eine der Stärken Deutschlands gemäß der Untersuchung ist, analysiert die Entdeckung und das Reporting von Risiken und Krankheitsfällen. Es lohnt ein genauerer Blick: Das dezentrale deutsche Laborsystem sticht hervor. Dieses erhält 100 von 100 möglichen Punkten und belegt in der Untersuchung international den ersten Platz. Ebenso erreicht Deutschland dank des Electronic Surveillance System for Infectious Disease Outbreaks (SurvNet), welches das Robert Koch Institut im Jahr 2001 einführte, 100 Punkte bei der Bereitstellung seuchenrelevanter Daten im Bereich Mensch, Tier und Umwelt. Dieses System ermöglicht die Datenerfassung durch die lokalen Gesundheitsbehörden und die elektronische Übermittlung an das Robert Koch Institut.
Im dritten Indikatorbereich, schnelle Reaktion, liegt Deutschland nur im oberen Mittelfeld. Während in diesem Bereich die Kommunikation der Risiken in keinem anderen Land der Welt besser bewertet wird, erhält Deutschland im Bereich der Vernetzung von Gesundheits- und Sicherheitsorganen null Punkte. Zudem erhält Deutschland die Höchstpunktzahl im Bereich Handels- und Reisebeschränkungen, weil es bei vergangenen Epidemien keine weitreichenden Handels- und Reisebeschränkungen aussprach.
In der vierten Kategorie „Gesundheitssystem“ liegt Deutschland mit Platz 22 ebenfalls nur im oberen Mittelfeld. Doch auch hier lohnt ein genauerer Blick. Im Bereich der Krankenhauskapazitäten liegt Deutschland auf Platz 1 weltweit. Dieser Befund widerspricht der Wahrnehmung, dass in den vergangenen Jahren, zumindest im internationalen Vergleich, Krankenhauskapazitäten zu stark gesunken seien. Relativ schlecht, nämlich mit 0 Punkten, schneidet Deutschland bei der Kommunikation mit Beschäftigten im Gesundheitssystem während einer Krise ab. Ebenso schneidet Deutschland mit Platz 47 im Bereich der Fähigkeit, neue Medikamente zuzulassen, relativ schlecht ab. So schreiben die Forscher, dass es in Deutschland keine Pläne für die beschleunigte Zulassung von Medikamenten während einer Pandemie gebe. Vielmehr lehne das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Pläne der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Beschleunigung der Zulassung neuer Medikamente ab.
Die fünfte Kategorie zeigt an, inwieweit Deutschland sich internationalen Gesundheitsstandards verpflichtet hat und diese umsetzt. Die sechste Kategorie erfasst das Gesamtrisiko eines Landes von einer biologischen Bedrohung heimgesucht zu werden.
Insgesamt zeigt sich, dass gemäß des Global Health Security Index Deutschland in einigen Bereichen Aufholbedarf hat. Insbesondere bei der Kommunikation und Vernetzung sowie bei der schnellen Zulassung neuer Medikamente. Allerdings offenbaren die Ergebnisse auch einige Stärken, die während der aktuellen Corona-Pandemie von großer Bedeutung sind. Zum einen war Deutschland vor der Krise Spitzenreiter bei der Möglichkeit, Tests durchzuführen. Zum anderen verfügte Deutschland über überdurchschnittliche Kapazitäten in den Krankenhäusern.
Viele Intensivbetten
Für die Bewältigung der Corona Pandemie sind nicht nur die Gesamtkapazitäten der Krankenhäuser entscheidend, sondern auch wie viele Intensivbetten zur Verfügung stehen. Die OECD hat jüngst für 10 ausgewählte Mitgliedsländer unterschiedlich aktuelle Daten bezüglich der Intensivbettenkapazitäten veröffentlicht.
Im Durchschnitt verfügten die Gesundheitssysteme der ausgewählten Länder über 15,9 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner. Am geringsten war die Intensivbettenzahl in Dänemark und Irland. Die höchste Anzahl pro 100.000 Einwohner wies Deutschland mit 33,9 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner auf, gefolgt von Österreich mit knapp 29.
Möglicherweise relativiert die demographische Situation Deutschlands den Ausstattungsgrad mit Intensivbetten. Ältere benötigen häufiger eine intensivmedizinische Behandlung als jüngere Menschen. Ein Blick auf die Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, die älter als 65 Jahre sind, zeigt, dass unter den berücksichtigten Ländern nur die USA mit 161 Intensivbetten pro 100.000 älteren Einwohnern über mehr Intensivbetten verfügten als Deutschland mit 157,9.
Gut vorbereitet, aber gut genug?
Das deutsche Gesundheitssystem gehört in „normalen Zeiten“, bei all seinen Schwächen, zu einem der besten der Welt. An einigen Stellen ist Deutschland auch für eine Epidemie gut aufgestellt: Intensivkapazitäten in Krankenhäusern und Tests. Ob das reichen wird, um dramatische Verhältnisse in Krankenhäusern wie in Italien zu verhindern, hängt zum einen davon ab, wie gut innerhalb kurzer Frist zusätzliche Ressourcen in die intensivmedizinische Versorgung verlagert werden können und zum anderen davon, wie gut die Verbreitung durch „Social Distancing“ und Testen eingedämmt werden kann. Schließlich sollten die regulatorischen Hürden für neue Arzneimittel und Impfstoffe auf den Prüfstand gestellt werden. Jeder Tag zählt.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.