US-Präsident Biden sorgt mit einem ungewöhnlichen Vorschlag für Aufsehen. Um „möglichst viele Menschen so schnell wie möglich mit sicheren und wirksamen Impfstoffen zu versorgen“, setzt sich die US-Regierung dafür ein, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe auszusetzen. Ziel ist es, auch ärmere Länder in die Lage zu versetzen, kostengünstig Corona-Impfstoffe herzustellen und ihre Bevölkerungen damit gegen das Corona-Virus zu schützen. Während die EU-Kommissionspräsidentin Zustimmung signalisiert hat, lehnt die deutsche Regierung entsprechende Ansinnen bisher ab. So wurde ein Antrag der Linkspartei im deutschen Bundestag mit breiter Mehrheit der Großen Koalition, der FDP und der AfD abgelehnt. Die Grünen enthielten sich.
Eine Aufhebung des Patentschutzes wird kurzfristig kaum zu zusätzlicher Produktion führen. Sollte es wider Erwarten durch eine Aufhebung der Patente kurzfristig doch zu einer stärkeren Produktionsausweitung kommen, könnte dies langfristig die Impfstoffentwicklung bremsen – fatal im Falle einer neuerlichen Pandemie. Zahlreiche Ökonomen lehnen daher in der jetzigen Situation einen Eingriff in den Patentschutz ab. Stattdessen befürworten sie eine alternative Lösung, um möglichst vielen Menschen Zugang zu Impfstoffen zu ermöglichen.
Gewollte Monopole: Patente
Patente schützen die Entwickler 20 Jahre lang vor Konkurrenten, die einen neuen Wirkstoff oder das Herstellungsverfahren in dieser Zeit nicht kopieren dürfen. Die Patentinhaber können als temporäre Monopolisten höhere Preise verlangen. Die Aussicht auf Monopolgewinne soll den Innovationsanreiz stärken. In der Regel ist die Entwicklung neuer Wirkstoffe langwierig und teuer. Im Durchschnitt werden gut 1,8 Milliarden US-Dollar pro entwickeltem Wirkstoff aufgewendet. Nur eine von 24 begonnen Entwicklungen ist erfolgreich.
Weltweit werden derzeit 283 Impfstoffe gegen Corona entwickelt. Davon befinden sich 99 in der klinischen Erprobung. Zugelassen sind in der EU bisher die Impfstoffe von vier Herstellern. Aussicht auf eine zeitnahe Zulassung haben nur weitere vier Impfstoffe. Dies zeigt, dass es keine Erfolgsgarantie für die Entwickler gibt. Viele Projekte bringen hohe Kosten mit sich, führen aber nicht zu Einnahmen. Der Patentschutz soll dazu beitragen, dass Entwicklungen trotz hoher Kosten und Risiken angestoßen werden.
Zweifelsohne wäre eine Entwicklung neuer Wirkstoffe auch ohne Patentschutz denkbar. Die Entwickler haben in der Regel einen zeitlichen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. Den können sie nutzen, um über Monopolpreise die hohen Kosten wieder einzuspielen. Die Konkurrenz benötigt zwar etwas Zeit, um das Produkt nachzuahmen, lässt sich aber nicht auf Dauer auf Abstand halten. Monopolpreise sind in diesem Fall also nur von kurzer Dauer und geben entsprechend schwächere Anreize.
Kurzfristig mehr Impfdosen?
Zurück zu den Corona-Impfstoffen. Durch die Aufhebung des Patentschutzes hätten weitere Hersteller grundsätzlich die Möglichkeit, in die Produktion einzusteigen. Allerdings ist die Produktion von Impfstoffen komplex. Produzenten in Entwicklungs- und Schwellenländern stehen nicht vornehmlich rechtliche Hürden im Weg, sondern fehlendes technisches Knowhow. So weist US-Ökonom Alex Tabarrok darauf hin, dass China, das sich in der Vergangenheit nicht durch die Einhaltung des Patentrechts hervorgetan hat, keinen mRNA-Impfstoff produziere. Ein weiteres Indiz dafür, dass nicht vor allem rechtliche Barrieren die Herstellung von Impfstoffdosen bremsen, ist die Abwesenheit von Nachahmerprodukten für Moderna. Das Unternehmen kündigte bereits vor Monaten an, Verletzungen seiner Patente während der Pandemie rechtlich nicht zu verfolgen.
Kurzfristig wir die Freigabe der Patente kaum dazu beitragen, die Produktion zu erhöhen. Der kurzfristige Schaden wäre daher für die bisherigen Hersteller vermutlich ebenfalls gering. Sie besitzen das notwendige Knowhow zu Herstellung, das nicht so einfach transferiert werden kann.
Sollten überraschend weitere Produzenten die Freigabe der Patente nutzen, um Impfdosen herzustellen, weil sie doch über das notwendige Knowhow verfügen, könnte dies zwar kurzfristig zu einer besseren Versorgung beitragen. Langfristig würde allerdings der Anreiz zur Entwicklung neuer Wirkstoffe geschwächt werden. In der nächsten Pandemie würden Investoren und Entwickler einpreisen, dass sie möglicherweise wie im Jahr 2021 um einen Teil ihres möglichen Gewinns fürchten müssen.
Kaufen, statt nicht schützen
Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass durch frühzeitige massive Bestellungen zu relativ hohen Preisen Corona-Impfdosen schnell und in größerer Menge produziert werden. So haben etwa die USA sehr früh und mit hohem finanziellen Einsatz die Entwicklung und die Produktion von Impfstoffen erfolgreich vorangetrieben. Die Hersteller haben dadurch frühzeitig eigene Kapazitäten ausgeweitet oder durch Auftragsfertigung anderer Hersteller zusätzliche Produktion sichergestellt. Eine Enteignung durch die Missachtung der Patente widerspricht fundamental diesem erfolgreichen Ansatz. Heutige Produzenten werden dadurch nicht angehalten, weitere zusätzliche Impfdosen zu produzieren oder zu diesem Zweck mit anderen Unternehmen zu kooperieren.
Sollen zügig auch für viele Menschen in ärmeren Länder Impfdosen zur Verfügung stehen, wie es der US-Präsident anstrebt, sollte er sich an der eigenen erfolgreichen Impfkampagne orientieren: Die zügige Bestellung hoher Impfstoffmengen zu relativ hohen Preisen. Reiche Länder wie die USA oder die EU-Mitgliedsstaaten könnten die Impfdosen kaufen und an ärmere Länder kostenlos weiterreichen, etwa über die Covax-Initiative.
Die Idee, Impfdosen von Industrieländern kaufen zu lassen und an ärmere Länder weiterzugeben, erfährt eine breite wissenschaftliche Unterstützung. In einer Umfrage unter führenden Ökonomenspricht sich eine deutliche Mehrheit für den Ankauf von Impfdosen und die anschließende Weitergabe und gegen die Aussetzung der Patente aus. Mehr als die Hälfte der Befragten Ökonomen befürwortet dieses Vorgehen und ein weiteres Viertel befürwortet es sogar sehr. Nur fünf Prozent der befragten Ökonomen stimmten der These nicht zu. Eine seltene Einigkeit in der Ökonomenzunft.
Außerdem erwarteten fast acht von zehn befragten Ökonomen, dass die Vorteile die Kosten einer Spende der Impfdosen an arme Länder überwiegen würden.
Würden die Industriestaaten für die Bevölkerung der Schwellen- und Entwicklungsländer Impfstoffe kaufen, wären bei zweimaliger Impfung ca. 12 Milliarden Dosen nötig. Bei einem Preis von ca. 20 Dollar pro Dosis ergeben sich Gesamtkosten von 240 Milliarden Dollar, etwa 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der OECD-Länder.
Kaufen, kaufen, kaufen
Eine einmalige Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe würde einen erheblichen Eingriff in ein bewährtes Innovationssystem und in die Eigentumsrechte der Patentinhaber bedeuten. Der Nutzen wäre zweifelhaft.
Würde die Aufhebung der Patente tatsächlich kurzfristig zu einer erhöhten Produktion von Impfstoff führen, wie es sich die Biden-Regierung verspricht, wären langfristig die Innovationsanreize vermindert. Würde die Aufhebung keine zusätzliche Produktion anregen, wäre der langfristige Schaden für die Innovationsanreize zwar begrenzt, doch mehr Impfstoff gäbe es immer noch nicht.
Sollen kurzfristig mehr Impfstoffdosen zur Verfügung stehen, müssen entsprechend finanzielle Ressourcen eingesetzt werden, um ausreichend reale Ressourcen für die Produktion zu mobilisieren. Eine umfangreiche Bestellung der Industriestaaten für Menschen in ärmeren Ländern würde den Impfstoffherstellern einen finanziellen Anreiz geben, nach entsprechenden Möglichkeiten der Produktionsausweitung zu suchen. Die zügige Versorgung aller Menschen mit Impfdosen erfordert einen entschlosseneren Ressourceneinsatz und weniger Taschenspielertricks.
Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.