Seit Anfang November gibt es im Kampf gegen die Corona-Pandemie gute Nachrichten im Wochentakt. Den ersten Aufschlag machte am 8. November das Mainzer Pharmaunternehmen BioNTech zusammen mit seinem amerikanischen Partner Pfizer: Ihr Impfstoffkandidat sei in der entscheidenden Phase-3-Studie mehr als 90 Prozent effektiv. Genau eine Woche später legte das amerikanische Unternehmen Moderna ähnlich erfolgversprechende Daten vor. Aus dem Duo wurde eine weitere Woche später ein Trio: AstraZeneca vermeldete ebenfalls einen Erfolg seiner Phase-3-Studie.
Inzwischen haben BioNTech und Pfizer in den USA eine Notfallzulassung beantragt und die finalen Daten im rollierenden Zulassungsverfahren der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) vorgelegt. Trotz der guten Nachrichten: Geimpft wird noch nicht. Die Hersteller haben zwar bereits erhebliche Mengen Impfstoff produziert. Sie warten jedoch auf die Zulassung der Behörden.
Während die ganze Welt auf die behördlichen Zulassungen wartet, wütet das Virus weiter, kostet täglich unzählige Menschenleben und richtet immense ökonomische sowie gesellschaftliche Schäden an. Das spricht dafür, die Impfstoffe bereits jetzt bereitzustellen – für Personen, die nicht auf die Zulassung durch die Behörden warten wollen.
Relative Risiken abwägen
Im November sterben in Europa pro Tag über 4.000 Menschen durch Corona und viele Zehntausende stecken sich neu an. Der gesellschaftliche und ökonomische Schaden ist immens. Wirtschaftlich wie gesundheitlich spielt der Faktor Zeit dem Virus in die Hände. Eine Woche Verzug beim Start der Impfungen bedeutet erheblich mehr Neuinfektionen und in Konsequenz viele Tausende zusätzliche Todesopfer. Es gilt also: Je schneller geimpft wird, desto weniger Menschen sterben und desto geringer ist der wirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden.
Es muss stets zwischen den Risiken einer Infektion und den Risiken einer Impfung abgewogen werden. Dabei unterscheidet sich die Einschätzung der Risiken gerade im aktuellen Fall von Mensch zu Mensch mitunter deutlich. Während einige Menschen beruflich einer hohen Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind, etwa weil sie im Krankenhaus arbeiten, sind andere durch Vorerkrankungen oder ihr Alter besonders gefährdet. Der staatliche Zulassungsprozess suggeriert allerdings, die Risikoabwägung sei für alle Menschen gleich. Je länger sich die Zulassung hinzieht, desto größer ist die Gruppe von Menschen, deren Einschätzung nach die Kosten der eingehenden Prüfung ihren Nutzen übersteigen.
Die bisher bekannten Risiken und Nebenwirkungen des Impfstoff-Trios sind relativ zu den bekannten Risiken einer Corona-Infektion gering. Kein Impfstoff kann zu 100 Prozent sicher und frei von Nebenwirkungen sein. Die entsprechende Forschung würde Jahrzehnte dauern, wenn es überhaupt gelingen sollte. Dann hätten wir einen noch sichereren Impfstoff, aber die Pandemie wäre längst passé.
Zulassungsbehörden zu zögerlich bei der Freigabe
Vor dem 11.12. brauchen wir in der EU mit keiner Zulassung zu rechnen, obwohl die Testdaten etwa von BionNTech seit vielen Wochen „live“ im Rahmen der rollierenden Zulassung an die EMA gemeldet werden.
Zulassungsbehörden haben grundsätzlich einen Anreiz, Genehmigungen verzögert zu erteilen, da sie im Falle von Schwierigkeiten mit dem zugelassenen Präparat immerhin darauf verweisen können, es lange und eingehend geprüft zu haben. Ein ehemaliger Mitarbeiter der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA formuliert es so:
„ Wenn irgendwas schief geht (…) denken Sie daran, wie übel es aussieht, wenn wir das Medikament so schnell genehmigt haben.“
Auf derartige Befindlichkeiten sollte in der jetzigen Situation keine Rücksicht genommen werden.
Ausweg: Impfung bereits vor Zulassung ermöglichen
Es gibt Menschen, aus deren Sicht der Nutzen einer Impfung auch ohne staatlichen Zulassungsstempel die Kosten übersteigt. Ihnen sollte eine Impfung trotz noch fehlender Zulassung gewährt werden.
Menschen mit relativ hohen Risiken könnten sich so zeitiger impfen lassen. Die Impfung vor der Zulassung hat keine nennenswerten negativen externe Effekte, da die Geimpften das volle Risiko tragen. Im Gegenteil – sie tragen durch die Impfung zum Schutz anderer bei und verbessern die Datenlage zu möglichen Nebenwirkungen.
Sollte es zu einem „run“ auf die Impfungen ohne Zulassung kommen, könnte die Möglichkeit der Impfung auf einen bestimmten Personenkreis eingegrenzt werden, etwa medizinisches Personal oder Hochrisikogruppen.
Der Faktor Zeit ist für die erfolgreiche Bekämpfung der Corona Pandemie entscheidend. Die Verzögerungen von Zulassungen gehen mit hohen Kosten einher. Von der Verabreichung noch nicht zugelassener Impfstoffe gehen keine nennenswerten negativen externen Effekte aus. Es sind gar positive Externalitäten zu erwarten. Deshalb: Impfungen mit noch nicht zugelassenen Impfstoffen sollten denen gestattet sein, die bereit sind, das damit einhergehende Risiko auf sich zu nehmen.
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Erschienen bei: IREF. Mitautor: Dr. Alexander Fink.